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Jahresrückblick 2011 – Teil 2: Von Alison Krauss bis Sergio Mendes

Jahresueberblick Q2
Jahresueberblick Q2
19.12.2011
Im ersten Teil unseres Jahresüberblicks haben wir die ersten drei Monate des Jazzjahres 2011 beleuchtet, hier folgen die Monate April-Juni.

April:

Sérgio Mendes: Geschicktes Anpassen an den musikalischen Zeitgeist

Am 11. Februar 2011 feierte Sérgio Mendes seinen 70. Geburtstag. Und parallel auch gleich noch sein 50-jähriges Jubiläum als Aufnahmekünstler.
Aus diesem Anlass erschien die Doppel-CD “Celebration: A Musical Journey”, die all seine Erfolge und zwei exklusive Neuaufnahmen versammelte.
Die beiden Scheiben spannen den Bogen von seinen ersten Einspielungen, die er 1961 für das Instrumentalalbum “Dance Moderno” machte, bis hin zu zuvor unveröffentlichten Aufnahmen jüngsten Datums. Die 39 Tracks lassen keinen seiner großen Erfolge dieser 50 Jahre aus!
“Dass Sérgio Mendes der weltweit bekannteste und erfolgreichste brasilianische Musiker ist, kann kaum bezweifelt werden”, schrieb Hans-Jürgen Lenhardt in der Jazzthetik. “Die Compilation ‘Celebration: A Musical Journey’ gibt einen Überblick über seine gesamte Karriere. […] Wie kaum ein anderer hat Sérgio Mendes sich durch geschicktes Anpassen an den musikalischen Zeitgeist ständig neu erfunden und damit über Jahrzehnte jungen Generationen die brasilianische Musik vermittelt.”

Alison Krauss & Union Station: Wunderschöner melancholischer Bluegrass

Dass Alison Krauss eine der erfolgreichsten Musikerinnen der Gegenwart ist, hat sich mittlerweile auch nach Deutschland herumgesprochen.
Zu verdanken hat die fiedelnde Sängerin dies ihrer sensationellen Zusammenarbeit mit dem legendären Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant.
Davor hatte man die Bluegrass-Künstlerin, die mit ihren 39 Jahren schon 26 Grammys eroberte, in europäischen Breiten kaum wahrgenommen.
Doch nun gehört sie mit ihrer Band Union Station auch hier zu den Publikumslieblingen. Ihr letztes Album “Paper Airplane” ließ Alison Krauss von Tonigenieur Mike Shipley (Maroon 5, The Cars, Def Leppard, Joni Mitchell) produzieren.
“Nachdem Alison Krauss 2007 durch das mit Robert Plant und T-Bone Burnett produzierte ‘Raising Sand’ auch Hörer jenseits der American Roots Music erreichte, besinnt sie sich mit ihrer alten Band Union Station wieder auf ihre Wurzeln”, notierte Audio in einer Rezension des Albums und schwärmte dann: “Wunderschöner melancholischer Bluegrass, flankiert von Banjo, Pedalsteel, Bass, Fiddle und Mandoline, umgarnt die hochmusikalische 26-fache Grammy-Gewinnerin.”

Mai:

Nicola Conte: Bestechende Hommage an die Flower-Power-Ära

Rechtzeitig zu seinem 50. Geburtstag wurde das Label Impulse! Records, das in den 1960er Jahren Musikgeschichte schrieb, wiederbelebt.
Und die erste aufregende Neuveröffentlichung war Nicola Contes “Love & Revolution”. Für das Album hat der italienische Gitarrist, Produzent und DJ mit Gästen wie Trompeter Till Brönner, Saxophonist Tim Warfield sowie den neuen Jazzgesangsstars José James und Nailah Porter etwas vom Geist und der Musik der revolutionären 60er eingefangen und liebevoll modernisiert.
“Zum 50. Geburtstag des Impulse!-Labels serviert der italienische Produzent, Gitarrist und DJ eine bestechende Hommage an die Flower-Power-Ära der 60er Jahre, in deren Idealen sich Liebe und Revolution bedingten und nicht etwa ausschlossen”, meinte Manfred Gillig in der Musikwoche. “Dabei schwört Conte in plüschigen und nuancenreichen Arrangements mit viel Liebe zum Detail das sonnige Lebensgefühl jener Zeit.”

Lee Konitz, Brad Mehldau, Charlie Haden & Paul Motian: Denkmal eines großen Jazzkonzerts

Ein Gipfeltreffen zwischen drei alten und einem jüngeren Meister in einem der legendärsten Jazzclubs der Welt:
Auf “Live At Birdland” interpretierten Altsaxophonist Lee Konitz, Bassist Charlie Haden und Schlagzeuger Paul Motian mit Pianist Brad Mehldau ein halbes Dutzend Jazzklassiker und ließen sie klingen, als wären sie gerade erst von ihnen selbst kreiert worden.
Später wurde dieses Meisterwerk mit dem Vierteljahrespreis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.
Was damals noch keiner ahnen konnte: dass es eine der letzten Aufnahmen Paul Motians sein würde. Der Schlagzeuger verstarb 80-jährig am 22. November.
“Vier vom Jazzolymp in einem Club: Lee Konitz, Charlie Haden, Paul Motian und Brad Mehldau spielten 2009 ‘Live At Birdland’. Endlich gibt es eine Aufnahme”, freute sich Stefan Hentz unter der Überschrift “Denkmal eines großen Jazzkonzerts” in der Wochenzeitung Die Zeit. “Ungeprobt gingen die vier Musiker in den Club, abgesprochen war nur die Idee, gemeinsam durch das Reich der Standards zu schweifen und sich nur von der Intuition leiten zu lassen. Mehr brauchte es auch nicht:
Die Standards gehören längst zum genetischen Code ihrer Musik, so selbstverständlich, dass sie sich nach Belieben von ihnen entfernen und sich auf den verschlungensten Wegen wieder annähern können. Das Resultat ist ein Idealbild von Jazz: vier Musiker, die ihre spielerischen Routinen eingemottet haben und nur dann spielen, wenn sie einen musikalischen Gedanken haben, die einander zuhören, aufeinander reagieren und im Prozess des Spiels immer wieder andere Perspektiven einnehmen, aus denen das vertraute Material plötzlich unvertraut und neu ist. Jeder Ton klingt bedeutsam wie ein erstes Mal. “

Juni:

Madeleine Peyroux: Kein Album für oberflächliche Lounge-Jazz-Hörer, sondern für relaxte Genießer

Mit teilweise völlig neuen Tönen und einem breiten Stilmix überraschte die amerikanische Sängerin und Songschreiberin Madeleine Peyroux auf ihrem sechsten Album “Standing On The Rooftop”.
Behilflich waren ihr dabei der findige Produzent Craig Street und hochkarätige Partner wie der frühere Rolling-Stones-Bassist Bill Wyman, Allen Toussaint, Jonatha Brooke, Me’Shell Ndegeocello und Marc Ribot.
“Madeleine Peyroux eröffnet ‘Standing On The Rooftop’ mit dem Beatles-Classic ‘Martha My Dear’”, meinte Artur Schulz auf laut.de. “Eher eine irreführende Schelmerei genau wie ihre Ankündigung, sie wolle ‘diesmal härtere, ja sogar hässliche Klänge ausprobieren’.
Tatsächlich zeichnet vornehme Zurückhaltung die 15 Tracks aus. In dem Mix aus Eigenkompositionen, diversen Covern sowie Kollaborationen mit namhaften Künstlern unterschiedlichster Coleur hinterlässt besonders Bill Wyman nachhaltigen Eindruck. […] Madeleine kultiviert erneut elegantes Musik-Understatement. Kein Album für oberflächliche Lounge-Jazz-Hörer, sondern für relaxte Genießer, die ihre Zeit und Aufmerksamkeit gern vielschichtig angelegten Songs widmen.”

Ricardo Villalobos & Max Loderbauer: Das perfekte Klangerlebnis

Gegensätze ziehen sich an. Besser könnte man das Projekt, das die in Berlin lebenden DJs und Komponisten Ricardo Villalobos und Max Loderbauer auf der Doppel-CD “Re: ECM” präsentieren, wohl kaum auf den Punkt bringen.
Beide zählen zu den bekanntesten Namen der zeitgenössischen elektronischen Musik, haben aber auch ein ausgesprochenes Faible für die überwiegend mit akustischen Instrumenten erzeugte Musik des ECM-Labels.
Auf “Re: ECM” versuchten sie, ihre beiden musikalischen Leidenschaften unter einen Hut zu bringen, indem sie emblematische ECM-Aufnahmen von u.a. John Abercrombie, Miroslav Vitous, Louis Sclavis, Enrico Rava, Arvo Pärt and Bennie Maupin überarbeiteten.
“Spontanität und Intuition standen bei der Verbindung des akustischen Ausgangsmaterials mit der Welt der Maschinen im Vordergrund”, schrieb Tom Asam im Kulturmagazin Titel. “Die Vereinigung zweier Systeme sorgt hier für atemberaubende Resultate. Die Raumatmosphären der Originalproduktionen werden mit aller gebotenen Sorgfalt um neue Klangeindrücke erweitert.
Dieses Experiment ist sogar über die Laufzeit zweier CDs vortrefflich gelungen. Bei der Auswahl der Ausgangsmaterialien landete man übrigens nicht unbedingt bei den bekanntesten Künstlern. Wiederholt verwendet wurden Loops von Stücken des Christian Wallumrod Ensembles und Alexander Knaifel.”