Es sagt eigentlich schon eine Menge über die Persönlichkeit von Shabaka Hutchings aus, dass er mit “Afrikan Culture” erst jetzt erstmals eine Aufnahme unter seinem eigenen Namen veröffentlicht hat. Bisher hatte der Saxophonist und Komponist das Kollektiv stets über das Individuum gestellt. Sei es bei den Einspielungen mit seinem Flaggschiff Sons Of Kemet, dem Trio The Comet Is Coming oder der mit südafrikanischen Musikern gespickten Band Shabaka & The Ancestors. Auf der EP “Afrikan Culture” nimmt Shabaka Hutchings die Gelegenheit wahr, sich von einer für ihn eher ungewöhnlichen Seite zu zeigen: mit acht sehr ruhigen, meditativen Stücken, die in starkem Kontrast zu den oftmals geradezu hypnotisierenden und groovigen Klängen der vorgenannten Bands stehen. Außerdem ist er hier mit japanischen Shakuhachis, anderen Flöten und der Klarinette (aber nicht dem Saxophon) entweder ganz alleine zu hören oder in exotischen Duo-Konstellationen mit Harfe, Kora, E-Gitarre oder einer Music Box.
Shabaka Hutchings kam 1984 als Kind von Einwanderern aus Barbados in London zur Welt, zog aber als Sechsjähriger mit seiner Familie in die karibische Heimat der Eltern zurück. Dort erhielt er ab dem neunten Lebensjahr klassischen Klarinettenunterricht, spielte nebenher aber auch zu Aufnahmen von Hip-Hoppern wie Nas, Notorious BIG und Tupac und traditioneller Musik von Barbados. Mit sechzehn Jahren ging er wieder nach Großbritannien, um dort seine klassische Ausbildung fortzuführen. Doch schon bald trieb er sich weniger an der Guildhall School of Music & Drama herum und mehr in der boomende Musikszene von South East London, in der sich Künstler der diversesten Stile rege untereinander austauschen und neue Musikhybride kreieren.
Größere Aufmerksamkeit erregte Hutchings erstmals 2013 als Mitglied von Melt Yourself Down, der “nubischen Party-Punk-Band” seines Saxophonkollegen Peter Wareham. Noch im selben Jahr veröffentlichte er mit den Sons Of Kemet das Debütalbum “Burn”, für das die Band prompt als “Best Jazz Act” mit einem MOBO Award ausgezeichnet wurde. Das mit Tenorsax/Klarinette, Tuba und zwei Schlagzeugen ungewöhnlich besetzte Quartett, für das Hutchings sämtliche Kompositionen schreibt, ist bekannt für seine mitreißende Mixtur aus Jazz, Improvisation, karibischen Klängen und Dub. Mit “Lest We Forget What We Came Here To Do” legte es zwei Jahre nach dem Debüt ein ebenso gefeiertes Nachfolgealbum vor.
Ganz anders ist der Ansatz bei dem Trio The Comet Is Coming mit Schlagzeuger Maxwell Hallett und Keyboarder Dan Leavers, das 2016 mit “Channel The Spirits” sein erstes Album herausbrachte. Das für einen Mercury Prize nominierte Trio verfolgt einen eher “anarchistischen Zugang” zu der elektro-akustischen Musik, die es bei improvisierten Jamsessions gemeinsam entwickelt. Für sein drittes Projekt Shabaka & The Ancestors, das ebenfalls 2016 mit “Wisdom Of Elders” debütierte, tat sich der Saxophonist mit einer Gruppe südafrikanischer Musiker um Pianist Nduduzo Makhathini und Trompeter Mandla Mlangeni zusammen, um Afro-Futurismus mit Einflüssen von Sun Ra, Jazz und dem südafrikanischen Musikerbe zu vermischen.
Seit Shabaka Hutchings 2018 einen Plattenvertrag bei John Coltranes legendärem Label Impulse! Records erhielt, hat er die Schlagzahl der Veröffentlichungen deutlich erhöht und international ein immer stärkeres Profil gewonnen. Das US-Magazin DownBeat zählte ihn 2020 zu den Musikern, die die Zukunft des Jazz gestalten werden. Mit seiner gefeierten Band Sons Of Kemet brachte Hutchings bei Impulse! als erstes 2018 das aufreizend betitelte Album “Your Queen Is A Reptile” heraus, das glänzende Kritiken erntete.
Mit The Comet Is Coming drang er danach 2019 auf “Trust In The Lifeforce Of The Deep Mystery” und “The Afterlife” gleich zweimal in space-jazzige Gefilde vor (ein neues Album der Band soll noch 2022 erscheinen). 2020 folgte mit “We Are Sent Here By History” das zweite Album von Shabaka & The Ancestors, das einmal mehr Nduduzo Makhathini featurte. Wieder ein Jahr später meldete er sich auf “Black To The Future” mit den Sons Of Kemet zurück. “Da treffen Momente, die an John Coltrane und Rahsaan Roland Kirk erinnern, auf Aspekte von Hip-Hop, Fusion und Ambient Music, aber auch auf Spuren von Reggae, Dub und südafrikanischer Musik, die seit den 1960er Jahren den Jazz in Großbritannien kennzeichnen”, schwärmte Wolf Kampmann in Eclipsed! über das Album. “Hutchings hat ein Händchen für die perfekte Balance, so dass der Fluss bei allen Brüchen stets erhalten bleibt und sich Grooves, Texte und Hooks unweigerlich im Kopf festsetzen.”
Darüber hinaus war Shabaka Hutchings in den vergangenen Jahren als Gast auf Alben von u.a. den Heliocentrics, Polar Bear, Yussef Kamaal, Yazz Ahmed, Makaya McCraven, Angélique Kidjound Moses Sumney zu hören.