Wayne Shorter als Vorbild: kühne musikalische Grenzüberschreiter
Auf “Absence” zollt der Trompeter Terence Blanchard mit seinem E-Collective und dem Turtle Island Quartet einem der größten Saxofonisten und Komponisten des Jazz Tribut.
Terence Blanchard - Absence
26.08.2021
Seit er vor annähernd vierzig Jahren im Tandem mit dem Altsaxofonisten Donald Harrison die ersten Alben unter eigenen Namen aufnahm, ist Terence Blanchard zu einem der höchstangesehenen Trompeter des Jazz aufgestiegen. Der Schublade der Neotraditionalisten, in die er anfangs gesteckt wurde, entwuchs er schnell, indem er das Spektrum seiner künstlerisches Aktivitäten beständig erweiterte. Längst ist der fünffache Grammy-Gewinner nicht mehr exklusiv im Jazz unterwegs. 1991 begann er eine bis heute andauernde enge Zusammenarbeit mit dem Regisseur Spike Lee, für dessen Filme er einen Großteil seiner mehr als vierzig Soundtracks schrieb und aufnahm; die letzten beiden (“BlacKkKlansman” und “Da 5 Bloods”) brachten Blanchard jeweils eine Oscar-Nominierung ein. Darüber hinaus schrieb und arrangierte er aber auch Musik für diverse Broadway-Stücke und komponierte sogar zwei eigene Opern. Auf “Absence”, seinem siebten Album für Blue Note, ist es ihm nun besser denn je zuvor gelungen, seinen Facettenreichtum zu zeigen. Das Album ist zugleich eine liebevolle Hommage an Wayne Shorter. Denn die sieben Stücke, die von den an der Aufnahme beteiligten Musikern beigesteuert wurden, kombiniert Terence Blanchard mit fünf Kompositionen des Saxofonisten.
“Ich wusste, dass es Wayne zu diesem Zeitpunkt nicht gut ging. Deshalb wollte ich ihn ehren und ihn wissen lassen, wie viel er mir bedeutet”, sagt Blanchard. “Wenn du meine eigenen Stücke betrachtest, kannst du erkennen, wie viel ich von Wayne gelernt habe. Er beherrschte es, Kompositionen mit einer einfachen Melodie beginnen zu lassen und dieser dann Harmonien gegenüberzustellen, die einen ganz anderen Ursprung haben. So schaffte er es, die Melodien in einem anderen Licht lebendig werden zu lassen. Das macht ihre Schönheit aus. Bei diesem Album geht es um Komposition – nicht nur um seine Werke, sondern auch darum zu zeigen, wie sehr er uns beim Schreiben unserer eigenen Musik beeinflusst hat.”
Für die Aufnahme von “Absence” taten sich Terence Blanchard und seine seit sechs Jahren bestehende Band The E-Collective mit dem gefeierten Turtle Island Quartet zusammen. Das Streichquartett begeistert die Musikwelt seit 1985 mit faszinierenden Alben, auf denen es Jazz, Klassik, Rock, Latin und viele andere Stile miteinander kreuzt (für “A Love Supreme: The Legacy Of John Coltrane” gewann das Ensemble 2007 einen Grammy). “Ich habe in meiner Karriere schon öfter mit Streichern gearbeitet”, sagt Terence Blanchard. “Aber das Turtle Island Quartet hat die Sprache des Streichquartetts neu erfunden. Es ist absolut einzigartig. Was diese Musiker machen, ist brillant. Durch das Zusammenspiel mit ihnen klingen wir wie ein Kammerjazzensemble.”
Wie schon bei den beiden vorangegangenen Aufnahmen mit dem E-Collective, hat Blanchard seinen Mitmusikern – Pianist Fabian Almazan, Gitarrist Charles Altura, Bassist David Ginyard und Schlagzeuger Oscar Seaton – weitgehend freie Hand gelassen, sich als Band zu entfalten. “Ich lasse ihnen Raum, den sie als Arrangeure erkunden können”, meint der Bandleader. “Es ist sowohl für die Band als auch für meine eigene Entwicklung wichtig, neue Wege zu finden, die Musik anderer Leute zu spielen. Die Jungs machen Dinge, auf die ich selbst nie gekommen wäre. Wir versuchen, etwas Einzigartiges zu schaffen. Was Wayne anbelangt, haben wir hier die Möglichkeit, seine Musik auszuloten und sie wirklich zu verinnerlichen. Um dann unsere eigenen Eindrücke wiederzugeben.”