“Dies ist kein Album mit Klaviermusik”, erklärt der 26-jährige Franzose Thomas Enhco sein neues Album „Feathers“. “Ich versuche, das Klavier mit seinen Tasten, Hämmern und Saiten nicht als mechanisches Instrument zu betrachten, sondern als wandlungsfähiges Etwas, das jede Gestalt und Form annehmen kann, und jede Stimme und jeden Klang erzeugen kann: den von Holz- und Blechblasinstrumenten, Streichern, Perkussion, Harfen, Glocken....”
Und: “Mit diesem Album will ich die verschiedenen Episoden einer Liebesgeschichte erzählen, wie wir sie emotional wahrnehmen. Eine Liebesgeschichte ist ja immer etwas Komplexes und keinesfalls Rationales. Sie ist selten schwarz und weiß. In ihr vermischen sich Realität und Träumereien, Phantasie und Torheit. Es gibt in ihr Leidenschaft, Zweifel, Hochstimmung, überschwängliche Freude, Projektion, Eifersucht, Entspannung, Leiden, Zerrüttung und Wiedergeburt… was für ein großartiges Thema für einen Musiker”.
Thomas Enhco, 1988 in Paris geboren, ist Abkömmling der berühmten Casadeus-Familie, die etliche namhafte klassische Musiker und Schauspieler hervorgebracht hat. Wie sein zwei Jahre älterer Bruder David, der Trompeter ist, entschied sich Thomas schon in sehr frühen Jahren eine Karriere als Jazzpianist und Violinist einzuschlagen, auch wenn er auf beiden Instrumenten ebenfalls eine klassische Ausbildung genoss. Entdeckt und gefördert wurde sein außerordentliches Talent von dem bekannten französischen Jazzviolinisten Didier Lockwood, der den damals neunjährigen Thomas 1998 einlud, mit ihm beim Jazzfestival in Antibes Juan-les-Pins aufzutreten. Ab seinem zwölften Lebensjahr besuchte Thomas dann das private Konservatorium CDML (Centre des Musiques Didier Lockwood), um bei Gisèle Magnan klassisches Klavier zu studieren. Vier Jahre später wechselte er an das CNSM (Conservatoire National Supérieur de Musique) in Paris, um sich dort ganz dem Jazz und der Improvisation zu widmen.
Sein erstes eigenes Album, “Esquisse”, nahm Thomas Enhco 2006 mit dem legendären Ex-Weather-Report-Schlagzeuger Peter Erskine auf. 2009 folgte das Standards-Album “Someday My Prince Will Come”, auf dem auch sein Bruder David Enhco mitwirkte. Für das Album erhielt er 2010 in Frankreich als “neues musikalisches Talent”einen Django d’Or. Zwei Jahre später überrascht er dann gleich mit zwei neuen Alben: “Jack & John” nahm er in New York mit dem Traum-Rhythmusgespann Jack DeJohnette und John Patitucci auf, “Fireflies” mit dem kanadischen Bassisten Chris Jennings und dem belgischen Schlagzeuger Nicolas Charlier, seinen regulären Trio-Partnern.
Auf “Feathers” ist Thomas nun erstmals als unbegleiteter Solist zu hören. “Das ist mein erstes Soloalbum. Ich spielte es wie ein Buch, in dem gewisse Absätze ausgelassen sind, in dem die Grenzlinie zwischen Geschriebenem und Improvisiertem verschwommen ist. Die Freiräume füllte ich während der Einspielung und ließ mich dabei von der tellurischen Kraft und unerträglichen Leichtigkeit des Klaviers tragen.”
“Den Großteil der Stücke des Albums habe ich in den letzten beiden Jahren komponiert, ungefähr die Hälfte während eines bitteren New Yorker Winters”, fährt Thomas Enhco fort. “Für einige Stücke wollte ich ursprünglich noch Texte und Orchestrierungen anfertigen. Aber dann schien mir, dass das Klavier die Botschaft der Songs auch alleine vermitteln und all die Charaktere zum Leben erwecken kann, die in diesen Geschichten eine Rolle spielen.”
Diese breite Palette an Emotionen setzt Enhco auf “Feathers” erstaunlich souverän und nicht selten virtuos in faszinierende Musik um. Mal klingt er dabei melancholisch-elegisch (wie in “Letting You Go”), dann wieder ausgelassen-verspielt (“Mischievous”) oder gar bedrohlich-dramatisch (“Sand Creek Song”). Und obwohl er mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Jazz und der Improvisation steht, schimmert in seinen Vorträgen auch immer wieder seine klassische Klavierausbildung durch.
März 2015