“Prayers & Observations” ist das zweite Album der norwegischen Songschreiberin und Sängerin Torun Eriksen, die 2004 mit “Glittercard” auf Bugge Wesseltofts Label Jazzland Recordings ihr Debütalbum vorlegte. Begleitet wurde sie bei der Einspielung ihrer zehn neuen Songs wieder von ihrer bewährten Band, bestehend aus dem Saxophonisten und Flötisten Frøydis Grorud, Keyboarder David Wallumrød, Bassist Kjetil Dalland und Schlagzeuger Torstein Lofthus. Dazu gesellen sich bei einigen Stücken außerdem der Trompeter und Flügelhornist Ole Jørn Myklebust, der Gitarrist André Berg und ein Streichensemble.
Auch “Prayers & Observations” wurde wieder von Bugge Wesseltoft produziert. Obwohl Torun Eriksen auf dem neuen Album mit einer ganzen Reihe von neuen Stilelementen experimentiert, zeigt sie zugleich doch, daß sie schon eine klare musikalische Linie und eine unverwechselbar eigene Stimme gefunden hat. “Jeder Song erzählt eine eigene Geschichte”, erzählt Torun Eriksen. “Mein musikalisches Ziel ist es, eine ausdrucksstarke Songschreiberin und interessante Interpretin zu sein. Bei diesem Album ging es mir darum, großartige Songs zu schaffen, die man gerne hört.” Und das ist ihr wirklich prächtig gelungen.
“Die Arrangements sind ausgefeilter. Anders als beim ersten Album, nahmen wir uns diesmal einfach mehr Zeit, um uns um die feineren Details der Aufnahme zu kümmern”, meint Torun Eriksen. Viele dieser Lieder schrieb sie während ihrer ersten Schwangerschaft und nach der Niederkunft. Und diese für sie neuen Erfahrungen – die ihrem Leben, wie Torun sagt, “eine neue Dimension gaben” – reflektierte sie dann teilweise auch in den Texten der neuen Songs.
Nicht nur in der heimischen Musikpresse, in der man sie als “außerordentliches Gesangstalent” oder gar “Stimme des Jahres” feierte, wurden Torun Eriksen und ihr Debütalbum “Glittercard” letztes Jahr mit Superlativen überhäuft. Auch die deutschen Kritiker gerieten ins Schwärmen: “schon jetzt klingen ihre Songs zeitlos” (Jazzthetik), “eine selbstbewußte, soulige Stimme, ein neuer Gesangsstern am nordischen Firmament” (JazzPodium), “die Norwegerin hat eine wundervolle Soulstimme – klar, rein, samtschwarz” (Woman), “ein wirklich brillantes Debüt” (WOM Journal).
Nach der Veröffentlichung von “Glittercard” ging sie auf eine ausgedehnte Europa-Tournee, um die Musik ihres Debütalbums live zu präsentieren. “Es war eine fantastische Erfahrung, vor internationalem Publikum aufzutreten. Die Tatsache, daß ich von Hörern aus unterschiedlichen Ländern ein Feedback erhielt, hat meinen Horizont erweitert, denn in jedem Land reagieren die Leute ganz anders. Ich habe dadurch ein tieferes Verständnis meiner eigenen Musik gewonnen, und ich empfinde es als einen Gewinn, diese Erfahrung gemacht zu haben.”
Den Grundstein für ihre musikalische Karriere legte Torun Eriksen bereits als Sechsjährige, als sie einem Gospelchor beitrat. Bis zu ihrem 19. Lebensjahr tummelte sie sich als Chormitglied und Solistin im Gospelumfeld und tauchte dabei auch immer wieder tief in die verwandten musikalischen Welten des Soul, Jazz und Rhythm’n'Blues ein. Dann begann sie – mit den Jazzstandards aus dem “Real Book” als Vorlage im Kopf – erste eigene Kompositionen zu schreiben. Während ihres Musikstudiums an der Skien-Hochschule in Norwegen konnte sie ihr Songwriting-Talent dann so richtig zur Perfektion weiterentwickeln.
1997 zog sie nach Oslo um und besuchte das Norwegian Institute for Stage and Studio (NISS), an dem Musikern und Technikern das Rüstzeug vermittelt wird, das sie für die Arbeit auf der Bühne und im Studio benötigen. Dort lernte sie andere Musiker kennen, mit denen sie gemeinsam die Band Licorice gründete, die mit einer Mischung aus Funk-, Soul- und Disco-Coversongs einige Erfolge verzeichnen konnte. Höhepunkt war seinerzeit ein Auftritt als Begleitband des norwegischen Teenie-Pop-Duos M2M im Disney World-Park in Orlando, Florida.
Weitere Erfahrungen sammelte Torun Eriksen danach u.a. bei Aufnahmen mit Palace Of Pleasure (Album “Popoganda”, 1999), als Gastsängerin der Mulens Portland Combo (“Mulens Femte”, 2001) und bei Knut Halmrast (“Little Pillow”, 2003). Von 2002 bis 2003 nahm sie in der norwegischen Soul-Jazz-Band Chipahua als Sängerin auch den Platz von Sidsel Endresen ein und trat mit dem Ensemble u.a. bei den beiden international renommierten norwegischen Jazzfestivals in Molde und Bergen auf. Erst vor kurzem erschienen zwei Alben deutscher Jazzkünstler, auf denen Torun Eriksen auch zu hören ist: sowohl auf “Sing Me Something” von dem jungen deutschen Trio Ensemble Du Verre als auch auf “My Game” von dem Bonner Trompeter Nils Wülker ist sie als Gastvokalistin zu hören. Auf dem Album des Ensemble Du Verre Seite an Seite mit Größen wie Ursula Rucker und Sidsel Endresen.
In den zehn neuen lyrisch-kontemplativen Songs – die eine breite Palette von Einflüssen und Stilen offenbaren – läßt uns Torun Eriksen nun an ihren jüngsten Beobachtungen und Erfahrungen teilhaben. Ihr unter die Haut gehender “Song Of Sadness”, den sie vorletztes Jahr während der Weihnachtszeit schrieb und hier in einem wunderbaren Duett mit Pål Flåte (von Midnight Choir) vorträgt, ist eine Hommage an den Saxophonisten Sigurd Køhn. Das Stück hat einen entspannten Country-Einschlag und ist ein Abschiedsgruß an den Freund und musikalischen Kollegen Sigurd Køhn, der eines der vielen Todesopfer des letztjährigen Tsunami vor Thailand war.
In der melancholischen Rhythm’n'Blues-Nummer “Way To Go” gelingt Torun das Kunststück stimmlich sowohl Erinnerungen an ihre Mentorin Sidsel Endresen als auch an Patti Austin und Josh Stone zu erwecken. Ihre hervorragende Intonationssicherheit kann Torun Eriksen vor allem in “The Sky From Where I Live” unter Beweis stellen, einem kammermusikalischen Stück, bei dem ihre Stimme sehr dezent nur von einigen Saiteninstrumenten begleitet wird. Ebenso meisterhaft wie abwechslungsreich arrangiert wurden auch “Joy” und “Stories”. Die jazzigste Nummer ist wiederum die fantastische Ballade “Tired”, die an den modalen Jazz von Miles Davis und John Coltrane anknüpft und das exzellente zweite Album der junge Norwegerin beschließt.
Es scheint, als sei Torun Eriksen in der relativ kurzen Zeit, die seit der Einspielung ihres hochgelobten Debütalbums “Glittercard” verstrichen ist, als Songschreiberin und Interpretin rasant weitergereift.