“Er hat mich umgehauen mit seinem Gefühl für Raum, seiner Leichtigkeit und Phrasierung”, schrieb Miles Davis 1988 in seiner Autobiografie. In der Tat war Pianist Ahmad Jamal vor allen Dingen legendär für seinen sensiblen Anschlag und unverwechselbaren Spielstil, der funkelnde Melodien mit schwebenden Akkorden kombinierte. Im Vergleich zu den virtuoseren Zeitgenossen des modernen Jazz, wie Erroll Garner und Oscar Peterson, bevorzugte er einen eher zurückhaltenden Ansatz.
Obwohl Ahmad Jamal während seiner sieben Jahrzehnte langen Karriere fast 70 Alben veröffentlichte, ist er nicht zuletzt für eine LP in Erinnerung geblieben: “At The Pershing: But Not For Me”, ein Live-Album voller schwelgerischer Balladen und elegant swingender Grooves, das er 1958 mit seinem Trio aufnahm. Es stand 107 Wochen in den US-Pop-Album-Charts und verkaufte sich bis heute über eine Million Mal. “Es hat in den letzten 61 Jahren die Rechnungen bezahlt, und es lebt immer weiter. Wirklich erstaunlich”, sagte Jamal 2009 in einem Interview.
In den 1970er Jahren, als die Popularität des klassischen Jazz zu sinken begann, schlug der Pianist eine Jazz-Funk-Phase ein, spielte mit elektrischen Keyboards und erweiterte sein Repertoire um Coverversionen zeitgenössischer Soul- und R&B-Hits. In den 1980er Jahren kehrte er zu seinem geliebten Steinway-Flügel zurück. Aber egal, worauf er spielte, seine Musik verlor nie ihren Sinn für Schönheit und Raffinesse.
Jamal war intelligenter, redegewandter Mensch, der allerdings auch dafür bekannt war, den Medien gegenüber zurückhaltend zu sein. Obwohl er in Interviews viel lachte, reagierte er sensibel auf jede Hinterfragung seiner persönlichen Überzeugungen und sprach selten über seinen islamischen Glauben, den er seit 1950 praktizierte. 1986 verklagte er den Jazzkritiker Leonard Feather, nachdem der ihn in einem Artikel mit seinem Geburtsnamen bezeichnet hatte. Nach dem Vorfall stimmte er Interviews nur zu, wenn die Journalisten sich bereit erklärten, sich an eine Liste strenger Richtlinien zu halten, die die Erwähnung von Jamals Geburtsnamen, seiner Religion und auch des Vorfalls mit Leonard Feather untersagten.
Jamal wurde am 2. Juli 1930 in Pittsburgh, Pennsylvania, als Sohn eines Stahlarbeiters und einer Putzfrau geboren. Schon als Kleinkind begann er sich für das Klavier seiner Familie zu interessieren. “Eines Tages, als ich drei Jahre alt war, spielte mein Onkel Lawrence es und fing an mich zu necken: Wetten, dass du das nicht spielen kannst? Ich spielte jede Note nach, und natürlich fiel das ganze Haus in Ohnmacht, da ich mich zum ersten Mal überhaupt ans Klavier gesetzt hatte.”
Seine Mutter erkannte sein ungewöhnliches Talent und begann Geld für Klavierunterricht zu sparen. “Sie ging zu Fuß zur Arbeit, damit ich einen Dollar für meine Musikstunde habe”, sagte Jamal 1990 dem Jazzkritiker Bill King. Als er schließlich mit sieben Jahren mit einer klassischen Klavierausbildung begann, machte Jamal rasante Fortschritte. Mit zehn Jahren spielte er seinen ersten bezahlten Gig. Schon früh zog ihn der Jazz in seinen Bann, und er war besonders von der Musik des zehn Jahre älteren Pianisten Erroll Garner aus Pittsburgh fasziniert, der für seinen blumigen Stil bekannt war. “Er war mein größter Einfluss”, erzählte er dem Record Collector. “Er ging auf dieselbe Grundschule und dasselbe Gymnasium wie ich. Unsere Mütter kannten sich.” Eine weitere Inspiration war der virtuose Pianist Art Tatum, den Jamal im Alter von 14 Jahren kennenlernte. Nachdem er ihn in einem Jazzclub in Pittsburgh spielen hörte, bezeichnete der blinde Musiker den jungen Burschen als “kommende Größe”.
Als er 1951 seine Plattenkarriere begann, hatte Jamal die High School abgeschlossen, tourte mit Swing-Formationen und zog nach Chicago, das er später als einen “Schmelztiegel für eine unglaubliche Masse an Talenten” beschrieb. Ein Jahr zuvor war er zum Islam konvertiert und hatte den Namen Ahmad Jamal angenommen, womit er sich Tausenden von schwarzen Amerikanern anschloss, die sich in den 1950er Jahren zum dem Glauben hingezogen fühlten
Während seiner dreizehn Jahre in der “Windy City” leitete er ein trommlerloses Trio namens Ahmad Jamal’s Three Strings, das dem Klavier-, Gitarren- und Bassensemble von Nat King Cole nachempfunden war. Seine erste Platte war eine abgespeckte Version von “The Surrey With The Fringe On Top”, einem Song aus dem Musical “Oklahoma!”. Sein cooler, entspannter Sound war das Gegenteil des rasenden, treibenden Bebops, den seine Kollegen an der Ostküste spielten. Er fand allerdings einen frühen Bewunderer in einem aufstrebenden Harlem-Trompeter namens Miles Davis, der sich als einer der Hauptarchitekten des Modern Jazz zu etablieren begann.
In den 1950er Jahren coverte Davis insgesamt dreizehn Stücke, die Ahmad Jamal zu seinem Markenzeichen gemacht hatte, darunter “Ahmad’s Blues”, “The Surrey With the Fringe On Top” und, am berühmtesten von allen, “New Rhumba”, das 1957 auf seinem Orchesteralbum “Miles Ahead” erschien.
Trotz Davis’ Enthusiasmus hatte der Pianist auch Kritiker. Als seine Bekanntheit in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zunahm, verspotteten ihn einige Jazzkritiker als “besseren Cocktailpianisten”. Andere, wie der bekannte Jazzkritiker und Autor Stanley Crouch, sahen ihn dagegen als Pionier an. Jamals sogenannte “Kammerjazz”-Ästhetik – ein Begriff, den einige Kritiker benutzten, um seine eleganten Arrangements für kleine Besetzungen zu beschreiben – erreichte ihren Höhepunkt auf dem Album “At The Pershing: But Not For Me”, das er 1958 live für das Label Argo während einer Reihe von Konzerten im gleichnamigen Chicagoer Hotel aufnahm.
Das Herzstück des Albums war “Poinciana”, eine verträumte Ballade, die angeblich auf einem kubanischen Volkslied basiert, das zuvor in den 1940er Jahren von Glen Miller und Bing Crosby aufgenommen worden war. Jamal verwandelte das Lied in eine exotische Schöpfung, mit kristallklaren Melodiesplittern, die über sanft schimmernden Akkorden und einer sprudelnden Percussion-Basis funkelten. “Poinciana” wurde Jamals berühmtester Song. Jahrzehnte später, im Jahr 1995, fand die Aufnahme erneut ein großes Publikum, als es von Regisseur Clint Eastwood in seinem Film “The Bridges Of Madison County” eingesetzt wurde.
Ahmad Jamal erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1997 einen NEA Jazz Masters Award, den französischen Ordre des Arts et des Lettres 2007 und einen Grammy Lifetime Achievement Award im Jahr 2017. Obwohl er nie einer der ganz großen Namen des Jazz besaß, zählte er viele zeitgenössische Jazzpianisten zu seinen Fans, aber auch Hip-Hop-Legenden wie Nas, De La Soul und Jay-Z, die seine Musik in den 1990er Jahren sampelten.
2013 fragte ihn ein Reporter des Guardian nach der Inspiration hinter seinen eleganten Melodien: “Es ist ein göttliches Geschenk, das ist alles, was ich Ihnen sagen kann”, war die Antwort “Wir erschaffen nicht, wir entdecken.”