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Vijay Iyer & Craig Taborn – miteinander statt gegeneinander

Auf ihrem ersten Duo-Album “The Transitory Poems” geht es Vijay Iyer und Craig Taborn nicht um eine pianistische Leistungsschau, sondern um konstruktive Kooperation.
Craig Taborn / Vijay Iyer
Craig Taborn / Vijay IyerMonica Jane Frisell / ECM Records
13.03.2019
Vijay Iyer (*1971 in Albany/New York) und Craig Taborn (*1970 in Minneapolis/Minnesota) gehören zweifellos zu den aufregendsten und einfallsreichsten Pianisten der zeitgenössischen Improvisationsszene und kreativen Musik. Ihre Wege kreuzten sich das erste Mal vor siebzehn Jahren in Roscoe Mitchells Band Note Factory (mit dem Ensemble spielten sie 2007 für ECM das Live-Album “Far Side” ein). Dort wurden sie mit komplexem notiertem Material konfrontiert und mussten sich gleichzeitig den Herausforderungen des spontanen Komponierens und Gestaltens in kollektiven und individuellen Improvisationen stellen. “Unser Duo entstand im Schmelztiegel dieser Band”, merken Iyer und Taborn an, “bei der Suche nach Musik, die ihre Einzigartigkeit dem Moment ihrer Entstehung verdankt.” Bei der Zusammenarbeit mit Roscoe Mitchell lernte Iyer auch, “wie man navigiert, wie man sich gegenseitig Platz macht, wie man etwas zusammen aufbaut…” Das Ziel, Musik in Echtzeit zu gestalten, prägte dann auch die Auftritte, die Taborn und Iyer seitdem immer wieder zusammen absolvierten.  Das Duo-Projekt entwickelte sich von einem Konzert zum nächsten. Mit “The Transitory Poems”, im März 2018 im Konzertsaal der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest live aufgenommen, legen Vijay Iyer und Craig Taborn nun endlich ihr erstes Duo-Album vor.
Dem Duo geht es hier nicht um eine pianistische Leistungsschau, sondern um konstruktive Zusammenarbeit. “Zum Improvisieren gehört für mich dazu, vollständig in die Musik einzutauchen”, hat Craig Taborn einmal gesagt. “Ich werde zum Publikum, achte genau auf das Geschehen und Klänge und ihre Wirkung. Das erste, von dem ich ablasse, ist die Entscheidung, ob ich etwas spiele oder nicht: denn dann kann ich mich einfach auf das einlassen, was passiert.” Die musikalische Umgebung wird gescannt, Details werden ausgeschmückt, Strukturen verstärkt, die Dichte bemessen, Rhythmen aufeinander abgestimmt, melodischen Linien Raum zum Entstehen und Zusammenwachsen gegeben. In der flüchtigen Welt der “Transitory Poems” ist die Musik in ständiger Bewegung, verwandelt sich und mutiert von einem Moment auf den anderen. Bisweilen bekennen sich die beiden Protagonisten zur unermesslichen Geschichte der Musik für zwei Klaviere, obwohl – wie Craig betont – er selbst und Vijay “sowohl Komponisten als auch Improvisatoren und orchestrierende Pianisten sind – insofern ist die Instrumentenfrage lediglich eine dem Kontext geschuldete Tatsache und nicht die primäre Herausforderung.”
Für Iyer und Taborn ist diese Aufnahme “eine Abfolge von Huldigungen” an große Künstler, die sie zutiefst beeinflusst hatten und kürzlich verstarben. “Luminous Brew” ist dem Pianisten Cecil Taylor gewidmet, dessen Musik in ihrer Intensität, polyrhythmischen Komplexität und Klangorganisation für eine ganze Musikergeneration immer noch eine wichtige Referenz ist. Den Titel des Albums entnahmen sie einem Interview, in dem Taylor die Menschheit und ihre Bemühungen als “transitory poems” (“vergängliche Gedichte”) beschrieb, die sich vor der Kulisse der Berge, die sie überdauern werden, entfalten.
“Clear Monolith” ist eine Hommage an den visionären Pianisten, Komponisten und Improvisator Muhal Richard Abrams, der den Mitgliedern der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) in den Anfangsjahren den Weg erhellte und der Musik bis dahin unerschlossene Pfade eröffnete. Der Maler und Bildhauer Jack Whitten, dem das Stück “Sensorium” gewidmet wurde, bezeichnete sich in seinen “Notes From The Woodshed”, einer Kollektion mit Aufzeichnungen aus seinem Atelier, selbst als “einen Quantenexpressionisten”. Whitten ließ sich bei seinen Arbeiten oft vom Jazz inspirieren und hatte die Ambition, John Coltranes “Sheets of Sound” in “Sheets of Light” zu übertragen.
Das letzte Stück, “Meshwork/Libation”, ist der Pianistin Geri Allen gewidmet. In den Improvisationen von “Meshwork” blitzen immer wieder Andeutungen auf das Thema von Allens “When Kabuya Dances” auf, bis diese Komposition, die ein moderner Klassiker ist, schließlich in den Vordergrund tritt.
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