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Vijay Iyer, Linda May Han Oh & Tyshawn Sorey – musikalische Kontemplationen über unruhige Zeiten

Auf “Uneasy” präsentiert Vijay Iyer mit seinem exzellenten neuen Trio Musik, die manchmal bedrohlich unter der Oberfläche brodelt, aber zugleich lyrisch, beruhigend und heilsam ist. 
Tyshawn Sorey, Vijay Iyer, Linda May Han Oh
Tyshawn Sorey, Vijay Iyer, Linda May Han Oh Craig Marsden
08.04.2021
Auf “Uneasy”, seinem siebten Album für ECM Records, präsentiert Vijay Iyer ein ungemein kraftvolles neues Trio, das er mit zwei weiteren Schlüsselfiguren der kreativen Szene von New York bildet: der Bassistin Linda May Han Oh und dem Schlagzeuger Tyshawn Sorey. Iyer ist dafür bekannt, beständig die musikalischen Formen zu verändern und auf jedem Album neue Möglichkeiten auszureizen. Sein einzigartiger musikalischer Ansatz hat ihm zahlreiche Auszeichnungen und viel Lob von der internationalen Presse eingebracht. Auf “Uneasy” greift der Pianist auf die Geschichte der Musik zurück und treibt sie gleichzeitig weiter voran. Dabei spiegeln sich die politischen und sozialen Turbulenzen, die heute die US-amerikanische Landschaft beherrschen, in seinen musikalischen Kontemplationen wider.
Der Titel des Albums geht auf ein früheres Projekt namens “UnEasy” zurück. “2011 habe ich Musik für ein Projekt mit dem Tanzensemble der Choreographin Karole Armitage geschrieben, dass wir gemeinsam bei Summerstage im New Yorker Central Park uraufgeführt haben”, erläutert Vijay Iyer in den Linernotes des Albums. “Wir nannten das Stück ‘UnEasy’, in Anspielung auf die Instabilitäten, die wir damals unter der Oberfläche der Dinge spürten; es war unser Name für eine aufkommende Unruhe im amerikanischen Leben. Ein Jahrzehnt später, während die Systeme wanken und zerbröckeln, mutet das Wort ‘uneasy’ wie eine brutale Untertreibung an, zu mild für diese verheerenden Zeiten. Aber da das Wort sein eigenes Gegenteil enthält, erinnert es uns vielleicht daran, dass die beruhigendste, heilsamste Musik oft aus tiefer Unruhe geboren wird und in ihr verortet ist; und umgekehrt kann die turbulenteste Musik Stille, Seelenruhe, sogar Weisheit enthalten.” Das Album baut auf dem Paradoxon auf, das der Titel impliziert, und greift die unterschwellige Atmosphäre der Bedrohung auf, auf die er anspielt.
“Uneasy” ist Dokument der ersten Studiosession des Trios, nachdem es das ganze Jahr 2019 über in dieser Besetzung zusammengespielt hat. Die Partnerschaft zwischen Vijay und Tyshawn reicht sogar bis ins Jahr 2003 zurück, als die beiden zusammen mit dem Altsaxophonisten Rudresh Mahanthappa und dem Bassisten Stephan Crump Iyers Quartett-Album “Blood Sutra” einspielten. Seitdem haben sie häufig zusammengearbeitet, unter anderem auf Vijays ECM-Veröffentlichung “Far From Over” von 2017. Linda May Han Oh ist für Vijay eine neue Spielpartnerin, obwohl sich ihre professionelle Beziehung schon über einige Jahre hinweg entwickelt hat. Als regelmäßige Gastdozentin beim Banff International Workshop in Jazz and Creative Music in Alberta, Kanada, ist die Bassistin mit Vijay und Tyshawn, den künstlerischen Leitern des Workshops, gut vertraut.
Sowohl Linda als auch Tyshawn Sorey haben zuvor schon an Einspielungen für ECM mitgewirkt. Sorey begleitete Roscoe Mitchell 2015 bei der Live-Aufnahme von “Bells For The South Side”, und Ohs einzigartige Bassstimme war 2017 auf “Lucent Waters” zu hören, dem ECM-Debüt des deutschen Pianisten Florian Weber. Ihre musikalische Sprachgewandtheit und Tyshawns kerniger, aber zutiefst musikalischer Swing steuern die komplementierenden Teile bei, die “Uneasy” von Vijays bisherigen Arbeiten abheben und einen bemerkenswerten Kontrast zu seinem letzten Trio-Album “Break Stuff” schaffen. “Wir haben zusammen eine Energie, die sehr eigen ist”, schwärmt der Pianist von seinen Trio-Partnern. “Sie hat eine andere Art von Schubkraft, einen anderen Impuls und ein anderes Farbspektrum.”
Das Repertoire von “Uneasy” setzt sich vornehmlich aus Kompositionen zusammen, die Iyer über den Zeitraum der letzten zwanzig Jahren hinweg geschrieben hat. Die einzigen Ausnahmen sind Geri Allens “Drummer’s Song” und eine radikale Neufassung von Cole Porters Klassiker “Night And Day”.
Ein Großteil der Musik von “Uneasy” fußt auf dem improvisierten Zusammenspiel und den spontanen Schwerpunktverlagerungen, die Vijay, Tyshawn und Linda hier ausloten. “Ich denke, wir hatten schon immer eine große Bandbreite an Energien, die wir beim Zusammenspielen erkunden können. Es geht nicht nur um die Form oder darum, Dinge mit der Absicht auszuführen, jemanden zu beeindrucken. Manchmal geht es einfach darum, eine Art intuitiven Raum anzuzapfen und zu versuchen, etwas unter der Oberfläche zu finden, das belebt oder antreibt.”
Auf “Uneasy” macht Vijay Iyer da weiter, wo er “Far From Over” aufgehört hatte, und reflektiert über die Ungleichheiten und die problematische sozialpolitische Landschaft unserer Zeit. Aber während “Far From Over” betonte, dass – wie Vijay es ausdrückte – “noch viel Arbeit vor uns liegt”, amplifiziert “Uneasy” die Dringlichkeit – oder vielleicht akkurater: wie akut die Unruhen, die Erbitterung und die Ungleichheit sind, die heute rund um den Globus in der Gesellschaft herrschen. “Meine Kompositionen für dieses Album habe ich über den Zeitraum der letzten zwanzig Jahre geschrieben, und das ursprüngliche ‘UnEasy’-Projekt entstand auf halber Strecke, vor zehn Jahren. Es wies schon auf etwas hin, das instabil war. Wir hatten schon damals Prekarität und Unruhe. Es war immer etwas Beunruhigendes im Gange, und jetzt sehen wir, wie es sich explosionsartig vor unseren Augen entfaltet.”
“Uneasy” wurde im Dezember 2019 im Oktaven Audio Studio in Mount Vernon, New York, aufgenommen und von Vijay Iyer gemeinsam mit Manfred Eicher produziert.
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