Jazz-Trip nach Texas – neues Album von Saxofonist Walter Smith III
Tenorsaxofonist Walter Smith III versteht sein neues Album als Hommage an seine Heimatstadt Houston. Der ungewöhnliche Albumtitel hat nicht nur sein Label Blue Note eine Weile beschäftigt.
Walter Smith III(c) Travis Bailey
26.09.2024
Das Album auf LP und weiteres von Blue Note finden Sie in unserem JazzEcho-Store.
Im Jazz gab es schon eine ganze Menge kreativer Albumtitel, aber “three of us are from Houston and Reuben is not” ist nicht nur ungewöhnlich lang, sondern überhaupt… ungewöhnlich. Nachdem Walter Smith III im vergangenen Jahr mit “Return To Casual” seinen erfolgreichen Einstand als Solokünstler bei Blue Note Records gegeben hat, meldet er sich nun mit einer Hommage an seine Heimatstadt zurück. Der Titel des Werkes ist natürlich Anspielung darauf, dass Bassist Reuben Rogers in dem Quartett der Einzige ist, der eben nicht aus Houston, sondern von der Amerikanischen Jungferninsel Saint Thomas stammt. Was die Führungsriege des Blue-Note-Labels und einige von Smiths Jazzkollegen von dem Titel halten wurde sogar im Video festgehalten.
Houston hat lange Zeit ein Dasein im Schatten der großen amerikanischen Gravitationszentren des Jazz geführt. Dabei ist die bevölkerungsreichste Stadt von Texas eigentlich immer eine durchaus fruchtbare Brutstätte für Jazzmusiker gewesen. In den Fokus der Fans rückte Houston aber erst in den vergangenen rund zwanzig Jahren. Und dies liegt vor allem an den Alumni der Kinder High School for the Performing and Visual Arts, zu denen neben den Pop-Superstars Beyoncé und Solange Knowles so innovative Jazzmusiker wie Robert Glasper, Kendrick Scott, James Francies, Chris Dave und Mike Moreno gehören. Und auch der Tenorsaxofonist Walter Smith III und zwei der Musiker seines aktuellen Quartetts – Pianist Jason Moran und Schlagzeuger Eric Harland - sind Abgänger der hochgelobten Houstoner Talentschmiede.
“Texas ist nicht nur aus Erdöl, Waffen und Politik”, sagt Smith. “Es gibt eine blühende, kulturell reiche Gemeinschaft, an die viele Leute nicht denken, wenn sie sich Texas vorstellen.” Im Jazzbereich machten sich vor allem die berühmten “Texas Tenors” einen Namen, Tenorsaxofonisten mit einem sehr leidenschaftlichen, vom Blues durchdrungenen Sound, den Cannonball Adderley einst treffend als “a moan within the tone” (“ein Stöhnen in den Tönen”) charakterisierte. Und Houston hat einige der prominensten Vertreter dieser besonderen Spezies hervorgebracht (darunter Arnett Cobb, Illinois Jacquet, Eddie “Cleanhead” Vinson, Billy Harper, Harold Land und der Jazz Crusader Wilton Felder), die diesen Sound über die Jahrzehnte hinweg immer wieder modifiziert und modernisiert haben. In dieser Tradition steht – zumindest mit einem Bein – auch Walter Smith III. Und das lässt er in den Songs von “three of us are from Houston and Reuben is not” immer wieder auf die eine oder andere Art durchschimmern.
Das Repertoire des neuen Albums besteht aus zehn Eigenkompositionen des Saxofonisten und einer fantastischen Interpretation von Sam Rivers’ “Point Of Many Returns”. Während Smith die Kompositionen für sein Blue-Note-Debüt noch bis ins kleinste Detail (“besessen von jeder Note und jedem Takt”) ausgearbeitet hatte, ging er diesmal anders vor und präsentierte seinen Mitmusikern nur gröbere Skizzen, die ihnen erlauben sollten, schneller zum Kern der Stücke zu finden. Entgegen kam ihm dabei freilich, dass er mit Moran, Harland und Rogers seit 2006 schon in den unterschiedlichsten Konstellationen gearbeitet hat. “Sie sind kreativ ohne wertend zu sein”, meint Smith über das Zusammenspiel mit seinen Partnern. “Ich kann bei einem Gig mit einem Blatt auftauchen, auf dem nur fünf Noten stehen und sagen: ‘Wir haben ein 90-minütiges Set.’ Und sie würden antworten: ‘In Ordnung! Lass uns loslegen.’ Und sie würden dafür sorgen, dass es funktioniert.”
Ganz so spartanisch fielen die Entwürfe für das Repertoire dieses Albums natürlich nicht aus. Einen Großteil der Stücke schrieb Smith dabei speziell für seine Bandkollegen. Und viele der Titel haben einen engen und sehr persönlichen Bezug zu Houston. Das hypnotische “610 Loop”, das aus zwei Abschnitten innerhalb einer zyklischen Form besteht, ist nach der Interstate 610 benannt, die um den Innenstadtbereich von Houston herumführt. Die Ballade “Misanthrope Hymn” erinnert an eine Highschool-Kollegin, die noch heute auf den Spitznamen Missy hört, während das sanguinische “Cézanne” einem inzwischen geschlossenen gleichnamigen Jazzclub (“Es war unser Village Vanguard.”) gewidmet ist. Das elliptische “24”, benannt nach Smiths Pager-Codenummer aus seiner Highschool-Zeit, ist unüberhörbar eine Verbeugung vor Ornette Coleman. Und im abschließenden “Lone Star” unternimmt Walter Smith III im Duo Jason Moran einen wunderbar bluesigen Ausflug in die texanische Country-Musik.