Wayne Shorter | News | Töne als UFOs - "Das Unbekannte kann man nicht einstudieren"

Töne als UFOs – “Das Unbekannte kann man nicht einstudieren”

Mit einer Reihe unveröffentlichter Aufnahmen feiert Blue Note die Musik und das Leben von Wayne Shorter. Auf “Celebration, Volume 1: Stockholm 2014”, dem ersten Album der Serie, ist der legendäre Saxofonist mit seinem “Footprints”-Quartett zu hören.
Wayne Shorter
Wayne Shorter(c) Tomo Muscionico
23.08.2024
Das Album auf CD, LP und als exklusive goldene Vinyl-Edition finden Sie in unserem JazzEcho-Store
Der im März 2023 verstorbene Wayne Shorter schrieb im Laufe seiner langen Karriere mit verschiedenen Bands Musikgeschichte: Zuerst mit Art Blakeys Jazz Messengers, gleich danach mit dem zweiten großen Quintett von Miles Davis, dann mit Weather Report und zuletzt mit seinem eigenen “Footprints”-Quartett, das der Kritiker Nate Chinen in seinem Buch “Playing Changes – Jazz for the New Century” (2020) als eine “der einflussreichsten Bands der letzten 20 Jahre” bezeichnet hat. In einer Reihe mit dem Titel “Celebration” wird das Label Blue Note, bei dem Shorter seine einzigartige Solokarriere in den 1960ern in luftige Höhen geführt hatte und zu dem er 2001 wieder zurückgekehrt war, nach und nach unveröffentlichte Aufnahmen des genialen Saxofonisten herausbringen. Zum Auftakt erscheint auf CD, Vinyl und im digitalen Format das Doppelalbum “Celebration, Volume 1: Stockholm 2014”, das einen beinahe 90-minütigem Mitschnitt eines atemberaubenden Konzerts mit dem “Footprints”-Quartett enthält.
In dem Pianisten Danilo Pérez, dem Bassisten John Patitucci und dem Schlagzeuger Brian Blade hatte Shorter im Jahr 2000 die idealen Spielpartner für die abenteuerliche Reise durch sein multidimensionales, abstraktes Klanguniversum gefunden. Als Pérez Shorter ganz am Anfang der Zusammenarbeit fragte, wann denn geprobt werden würde, antwortete der Saxofonist in der für ihn typischen trockenen Art: “Das Unbekannte kann man nicht einstudieren.” Genau in dieses Unbekannte stieß Shorter mit dem “Footprints”-Quartett stets vor, auch wenn er in dem Repertoire der Band immer wieder auf frühere Kompositionen zurückgriff. So wie bei dem Auftritt in Stockholm, bei dem u.a. gleich fünf Variationen des Titels “Zero Gravity” gespielt wurden, die kaum verschiedener hätten ausfallen können. “‘Zero Gravity’ bedeutet, Dinge im gegenwärtigen Moment zu sagen und zu tun”, verriet Wayne Shorter in der dreiteiligen Amazon-Prime-Dokumentation “Zero Gravity”. “Der gegenwärtige Moment ist der einzige Ort, an dem man Dinge ändern und die Zukunft diktieren kann.”
Den Anstoß zu der “Celebration”-Reihe hatte der Toningenieur Rob Griffin gegeben, mit dem Wayne Shorter seit 2001 beinahe exklusiv zusammengearbeitet hatte. Als heimliches fünftes Bandmitglied begleitete Griffin das Quartett auf zahlreichen Tourneen kreuz und quer durch die ganze Welt. Wobei er laut eigener Aussage sämtliche Konzerte mitschnitt. Als sich der Saxofonist 2018 mit 85 Jahren aus gesundheitlichen Gründen von der Bühne verabschiedete, fand Griffin endlich die Zeit sich all diese Mitschnitte in Ruhe anzuhören.
“Im Herbst 2022 begann Rob, eine Menge unveröffentlichter Musik zu schicken, die Wayne durchsehen sollte”, schreibt Carolina Shorter, die Witwe des Saxofonisten, in den Linernotes von “Celebration, Volume 1”. “Er fing an, sich die Aufnahmen rund um die Uhr anzuhören. Ich war mit irgendetwas im Haus beschäftigt, telefonierte, arbeitete, und er rief ‘Carolina! Du musst kommen und dir dieses Zeug anhören! Achte darauf, was die Jungs machen.’ Wayne machte sich detaillierte Notizen  – einige davon sind auf der Hülle des Albums abgedruckt.”
“Als er das Stockholmer Konzert hörte”, fährt sie fort, “sagte er: 'Das ist das Album.’ Dann hörte er sich mehr an, und mit der Zeit wurde ihm klar, dass es mehr als eine Platte werden musste. Ursprünglich wollte er die Sammlung Unidentified Flying Objects nennen – er stellte sich die Noten, die jeder spielte, als UFOs vor! Selbst im Januar 2023, als er zum letzten Mal im Krankenhaus lag, fuhr er fort, Tracks auszuwählen und die Alben zu gestalten. Sein ‘Never Give Up’-Geist, der seine gesamte Mission unterstreicht, war stärker denn je und er freute sich darauf, weitere Musik zu veröffentlichen. Erst in den letzten zehn Tagen seines Lebens wurde ihm klar, dass er nicht mehr da sein würde, um die Veröffentlichung noch zu erleben. Er verspürte das drängende Verlangen, das Leben zu feiern, und beschloss, den Namen der Sammlung in ‘Celebration’ zu ändern. Ich sagte: ‘Ja, Wayne! Lass uns feiern!!! Genau so sollte die Reihe heißen: ‘Celebration’!”