Die Jazzwelt brauchte ihre Zeit, um mit Alice McLeod warm zu werden. Schließlich wirkte es auf viele so, als habe sie den Zerfallsprozess des John Coltrane Quartets, der damals berühmtesten Combo des modernen Jazz, beschleunigt. Dabei war sie bestenfalls ein Katalysator, nicht aber der Ursprung dieser Entwicklung. Denn die Grenzen der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten dieser Band waren erreicht, Coltrane suchte nach neuen, freieren Impulsen und die kamen eben in Gestalt des ungestümen Pharoah Sanders und von Alice McLeod, mit der der Saxofonist seit 1963 zusammen lebte.
Geboren am 27. August 1937 in Detroit als fünftes von sechs Kindern, hatte sie mit elf Jahren angefangen, Klavier zu spielen, studierte klassische Musik, bekam 1959 ein paar sporadische Unterrichtsstunden bei Bud Powell in Paris und brachte eine kurze, freudlose Ehe hinter sich. In Detroit machte McLeod sich in der regionalen Szene einen Namen und startete gerade ihre eigene Karriere, als sie John Coltrane kennen lernte. Sie hatte ihn bereits bei einem Konzert um den Jahreswechsel 1962/63 herum gehört und bekam im Juli 1963 die Möglichkeit, ihn persönlich zu treffen. Die beiden wurden Freunde, kamen sich schnell näher, und bald war Alice McLeod im Gefolge von Coltranes Quartett in der Welt unterwegs. Zur Tochter Michelle aus erster Ehe gesellten sich John William Coltrane Jr. (geboren am 26.August 1964, gestorben am 7. August 1982 in Canoga Park, Kalifornien, bei einem Autounfall) und Ravi John Coltrane (geboren am 6. August 1965). Im August 1966 wurde Coltranes Ehe mit seiner ersten Frau Naïma gelöst und am gleichen Tag die mit seiner zweiten Frau Alice geschlossen, die bereits seit Ende des Vorjahres in seiner Band mitspielte. Am 19. März 1967 wurde schließlich der dritte Sohn Oranyan Olabisi “Oran” Coltrane geboren.
Nach dem Tod ihres Mannes versuchte Alice zunächst ihr künstlerisches Glück mit eigenen Formationen. Sie arbeitete mit alten Weggefährten wie Jimmy Garrison, Rashied Ali und Pharoah Sanders, ergänzte ihre Gruppen um Archie Shepp, Joe Henderson, Ron Carter, Charlie Haden, Cecil McBee und um neue klangliche Aspekte, die sie etwa als Harfenistin vorstellten (“A Monastic Trio”, 1967/68; “Ptah”, “The El Daoud”, 1970). Musikalisch und visionär weit von den Höhenflügen ihres Ehemannes entfernt, beschränkte sie sich darauf, einzelne Aspekte der gemeinsamen Arbeit weiterzuführen. Alice konzentrierte sich als tief religiöser Mensch auf die Momente der Meditation, Trance und transzendenten Grenzerfahrung, die sie in bei der Jazzpolizei umstrittenen Alben wie “Journey In Satchidananda” (1970), “Eternity” (1976) oder “Transfiguration” (1978) umzusetzen versuchte. In mehreren Anläufen musizierte sie außerdem mit ihren Kindern, mit Ravi und Oran an den Alt- und Sopransaxophonen und John Jr. am Bass, bis zu dessen frühem Tod im August 1982. Fünf Jahre später nahm sie die Idee noch einmal auf und tourte mit den Söhnen Ravi und Oran begleitet von Reggie Workman und Rashied Ali durch Europa.
Wichtiger noch als die Musik wurde für Alice die religiöse Erleuchtung. Im Jahr 1969 kam sie über Vishnu Wood mit dem geistigen Sektenführer Swami Satchidanasnda in Kontakt. Er machte sie mit hinduistischen Gedankengängen vertraut, die sie durch sporadische Indienaufenthalte vertiefte. Alice Coltrane änderte mehrfach ihren Namen, nannte sich Turiya Aparna, dann Turiyasangitananda. Sie gründete 1975 in Nordkalifornien das Vedantic Center, ein religiöses Studienzentrum, das 1983 nach Augoura Hills im Westen von Los Angeles umzog. Sie versuchte zum einen, sich von der normativen Dominanz ihres von Verehrern hochstilisierten Ehemannes zu befreien, wachte aber ebenso darüber, dass dessen Ansehen gepflegt und nicht missbraucht wurde.
Seit den Achtzigern zog sich Alice Coltrane zunehmend aus dem aktiven Musikbusiness zurück. Sie bevorzugte es, als Impulsgeberin im Hintergrund zu wirken, initiierte etwa 1987 ein John Coltrane Festival in Los Angeles, das seitdem alljährlich im September stattfand, veröffentlichte verschiedene Textsammlungen wie “Monument Eternal” (1978) und “Endless Wisdom” (1987) zum Thema religiöse Erweckung und gestaltete in Los Angeles spirituelle Radioprogramme. Sie gehörte zu den Gründern der Stiftung “John Coltrane Foundation”, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, möglichst viele Aktivitäten zu unterstützen, die sich mit der Pflege des musikalischen Erbes ihres Mannes beschäftigen. Dazu gehören Wettbewerbe, Ausstellungen, Ehrenpreise, Stipendien etc. Außerdem wachte sie mit dem Verlag Jowcol Music, der für Lizensierungen im Zusammenhang mit Coltranes Kompositionen zuständig ist, über die rechtliche Verwertung der Musik. Vor zwei Jahren präsentierte sich Alice Coltrane noch einmal mit dem viel beachteten Comeback-Album
Translinear Light. Am vergangenen Freitag starb sie im Alter von 69 Jahren im Krankenhaus von West Hills.