Von der Kunst, Blitze in einer Flasche einzufangen
Für das Bill Charlap Trio ist das Village Vanguard in New York in 27 Jahren zu so etwas wie seinem zweiten Wohnzimmer geworden. Jetzt hat es dort für das Album “And Then Again” ein besonders mitreißendes Konzert aufzeichnen lassen.
Bill Charlap(c) CarolFriedman
16.08.2024
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Das Village Vanguard, das nächstes Jahr seinen 90. Geburtstag feiert, ist New Yorks ältester noch existierender Jazzclub. Seit Sonny Rollins dort 1957 sein atemberaubendes erstes Live-Album einspielte, inspirierte der Club mit seiner Tradition ausstrahlenden, intimen Atmosphäre unzählige Jazzmusiker/innen zu künstlerischen Höchstleistungen. Und zum Glück für die Nachwelt werden viele dieser Darbietungen – so wie einst die von Rollins – auch auf Platte gebannt. Das jüngste Beispiel dafür liefert jetzt das Bill Charlap Trio auf seinem brandneuen Album “And Then Again”, auf dem es in einer Stunde alles Register seines einzigartigen Könnens zieht. Mit einem Programm, das aus elektrisierend swingenden und boppigen Standards sowie unter die Haut gehenden Balladen besteht, denen die drei Musiker hier ihren ganz eigenen Stempel aufdrücken.
Die Geschichte des Bill Charlap Trios begann 1997, als der New Yorker Pianist das Album “All Through The Night” für Criss Cross Jazz einspielte. Begleitet wurde er bei der Aufnahme von dem Bassisten Peter Washington und dem (nicht mit diesem verwandten) Schlagzeuger Kenny Washington, die damals als so eine Art Hausrhythmusgruppe für das niederländische Label fungierten. Obwohl er mit keinem der beiden je zuvor gespielt hatte, sprang der musikalische Funke zwischen den Musikern auf Anhieb über. Also setzte Charlap die Zusammenarbeit mit ihnen fort. Mit seinen Auftritten in den bekanntesten New Yorker Jazzclubs erspielte sich das Trio bei Publikum und Kritikern schnell den Ruf, im Big Apple das Aushängeschild des modernen Mainstream-Jazz zu sein. Mit schöner Regelmäßigkeit ist es im Village Vanguard zu erleben, wo für Blue Note vor rund zwanzig Jahren schon das Album “Live At The Village Vanguard” aufgezeichnet wurde.
Der Club nimmt im Herzen von Bill Charlap einen ganz besonderen Platz, seit er ihn als "wildes New Yorker Kind, das sich im Village herumtrieb" entdeckt hatte. Wenn die Tür des im Untergeschoss liegenden Clubs offen stand, lauschte er von draußen gebannt den Darbietungen von Größen wie Shirley Horn und Joe Henderson. Als er dort dann etliche Jahre später selbst als Headliner auftreten durfte, fühlte er sich zunächst schier überwältigt und dann doppelt motiviert.
“Die Leute fragen mich oft: ‘Was ist so besonders daran, im Vanguard zu spielen?’” erzählt Bill Charlap. Da kommen einem natürlich als erstes die Geschichten von den Geistern längst gestorbener Jazzlegenden in den Sinn, die angeblich im Club herumspuken. Und auch die vielen wunderbaren Aufnahmen, die dort für die Ewigkeit mitgeschnitten wurden und die Plattenregale eines jeden wahren Jazzfans füllen. “Die Geschichte, diese Bedeutsamkeit, ist sehr poetisch, aber das ist eige4ntlich nicht das Wesentliche”, fährt Charlap fort. “Durch ein außergewöhnliches Phänomen - diese Vorhänge, den magischen Zuschnitt des Raumes, die Höhe des Podiums – ist der Klang auf der Bühne für den Künstler im Vanguard perfekt. Das ist der Grund, warum dort so viele ikonische Auftritte stattfinden. So einfach ist das.”
Und für das Album “And Then Again” hat das Bill Charlap Trio genau einen dieser ikonischen Auftritte abgeliefert. “Bei dieser Platte geht es um die Kommunikation des Trios – um das, was wir individuell tun, und um das, was wir als Einheit tun”, sagt der Pianist. “Und wir versuchen, dies auf unsere eigene Art und Weise zu tun, ohne zu viel darüber nachdenken zu müssen, dass wir es auf unsere Art und Weise tun. Das sollte ganz natürlich geschehen, und ich denke, das tut es hier auch. Man trainiert den Kopf, man vertraut dem Herzen. Eine Jazz-Live-Aufnahme zu machen ist, als würde man einen Blitz in einer Flasche einfangen.”