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Andrew Cyrille – drei Freigeister der kreativen Musik

Nachdem er 2016 auf seinem ersten ECM-Soloalbum seine musikalische Unabhängigkeit deklarierte, lebt Andrew Cyrille sie nun auf “Lebroba” mit Wadada Leo Smith und Bill Frisell aus.
Wadada Leo Smith, Bill Frisell, Andrew Cyrille
Wadada Leo Smith, Bill Frisell, Andrew CyrilleJess Chung / ECM Records
01.11.2018
Auf seinem 2016 veröffentlichten Album “The Declaration of Musical Independence” machte Andrew Cyrille deutlich, dass einer der trommelnden Innovatoren des New Jazz seine Vorstellung vom Gruppenspiel auf eine andere Entwicklungsstufe geführt hat. Im Trio mit Wadada Leo Smith und Bill Frisell hat er das Ensemblespiel auf “Lebroba” nun noch feiner abgestimmt. Der Titel des neuen Albums ist eine Wortkreation aus den Anfangsbuchstaben der Geburtsorte der drei Protagonisten: Leland (Smith), Brooklyn (Cyrille) und Baltimore (Frisell).
“Lebroba” bringt drei Freigeister der kreativen Musik zusammen, deren ECM-Geschichte weit in die Vergangenheit zurückreicht: Schlagzeuger Andrew Cyrille begleitete Marion Brown schon 1970 bei der Einspielung von “Afternoon Of A Georgia Faun”, Trompeter Wadada Leo Smith debütierte für das Label 1978 mit “Divine Love” und Gitarrist Bill Frisell war erstmals 1979 auf Eberhard Webers “Fluid Rustle” zu hören. Alle drei Alben gelten als echte ECM-Klassiker! Und Cyrille, Smith und Frisell sind natürlich längst als Musiker von nachhaltigem Einfluss bekannt.  In jüngerer Zeit konnte man Cyrille auf Ben Monders “Amorphae” hören, während Smith mit Vijay Iyer “A Cosmic Rhythm With Each Stroke” einspielte und Frisell auf “Small Town” sein Duo mit Thomas Morgan vorstellte.
Andrew Cyrille und Wadada Leo Smith spielten erstmals in den frühen 1970er Jahren zusammen, zu einer Zeit, als einige der Wegbereiter der Chicagoer AACM sich in der Gegend von New York niederließen. Ende der 90er Jahre trafen sie sich im Quartett des Bassisten John Lindberg wieder. Ihre Reunion auf dem im New Yorker Reservoir Studio aufgenommenen Album “Lebroba” kam auf Vorschlag des Produzenten Sun Chung zustande.
Als großzügiger Leader gewährt Cyrille seinen Kollegen viel Freiraum. Jeder der drei Protagonisten steuerte eigene Kompositionen zum Repertoire bei, wobei Smiths elegante vierteilige Suite “Turiya”, die Alice Coltrane gewidmet ist, sich langsam über 17 Minuten hinweg entfalten darf. Geschriebene und offene Abschnitte sind miteinander verflochten, während das Schlagzeug zum Schluss hin eine freie Rolle übernimmt. “Ich wollte nicht die ganze Zeit spielen”, erklärt Cyrille. “Ich wollte Rhythmen mit Zwischenräumen spielen und auf eine melodische Weise, die einen Bezug zu dem hatte, was Wadada und Bill machten…” Kreative Energien wurden auch in der spontan entstandenen Nummer “TGD” gebüdelt, für die alle drei Musiker verantwortlich zeichneten.
In Rezensionen wird oft die elementare Kraft von Cyrilles Spiel hervorgehoben (“seine Energie ist eisern, seine Power absolut”, merkte der All Music Guide einst an). Doch selbst in Kontexten, die einen bedingungslosen Drive erfordern (wie bei Cecil Taylors gefeiertem Trio mit Jimmy Lyons, dem Smith mehr als ein Jahrzehnt angehörte), bediente er sich beim Schlagzeugspielen immer einer differenzierten Methodik. Trotzdem “überraschte die Veröffentlichung von ‘The Declaration of Musical Independence’ 2016 einige Hörer”, wie Kevin Whitehead im CD-Booklet schreibt. “Denn dort entfaltete sich Andrews neuer elliptischer Stil – ein Stil, bei dem, wie er sagt, der Takt eher angedeutet als ausformuliert wird'.”
Während Bill Frisell mit Cyrille schon auf dem “The Declaration Of Musical Independence”-Album gespielt hat, kommt es auf “Lebroba” zum ersten Aufeinandertreffen zwischen dem Gitarristen und Wadada Leo Smith. “Wenn es eine konzeptionelle Kontinuität zwischen dem ‘Declaration’-Quartett und diesem Trio gibt”, sagt Cyrille in den Liner Notes, “ist es Frisell als Dreh- und Angelpunkt. Die Musik ist anders, aber das Konzept ist ungefähr gleich. Und dann bringt Wadada seine Stimme und seine Philosophie ein.”
Da diesmal auf Bass und Keyboards verzichtet wurde, ist die Ensemblestruktur transparenter als auf “Declaration”. Und weil Cyrille seinen Sound manchmal auf eine unstete Grundströmung reduziert, bieten sich Wadada Leo Smith jede Menge Momente knisternder Stille und offene Räume, die er geschickt zu nutzen weiß. Für Bill Frisell ist es nicht das erste Mal, das er in einem basslosen Trio spielt. Über zwanzig Jahre lang gehörte er zusammen mit Joe Lovano dem Trio des Schlagzeugers Paul Motian an. “Andrew erinnert mich in gewisser Weise an Paul”, sagt Frisell. “Die Leute beschreiben das Spiel beider gerne als frei oder abstrakt und übersehen dabei wie gefühlvoll es ist: sie haben einen sehr tiefgründigen Beat, der aus ihrem tiefsten Inneren kommt.”
Auch wenn er nur angedeutet wird, spürt man seine Präsenz auf “Lebroba”, nicht zuletzt in Cyrilles eigenen Kompositionen, dem bluesigen Titelstück und der anmutigen Ballade “Pretty Beauty”.