Um Verlust, Erneuerung und Freundschaft geht es auf Bill Frisells dritten Blue-Note-Album “Four”, das der vielseitige Gitarrist mit einem neuen Quartett aufgenommen hat.
Normalerweise ist Bill Frisells Terminkalender das ganze Jahr hindurch randvoll gefüllt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem der Gitarrist nicht irgendwo in einem Winkel der Welt auf der Bühne steht oder im Studio herumwerkelt. Entweder mit einem seiner eigenen Ensembles oder als Sideman bzw. Gaststar anderer Künstler der unterschiedlichsten Musikgenres. Um eine leise Ahnung von Frisells Geschäftigkeit zu erhalten, reicht es, sich seine 1.312 Einträge umfassende Credit-Liste bei AllMusic anzuschauen. Mit dieser Normalität war es im Frühjahr 2020 dann schlagartigt vorbei, als die Corona-Pandemie ihn – so wie uns alle – dazu zwang, in den Lockdown zu gehen. Tourneen, Live-Auftritte in kleinen Clubs und großen Hallen oder präsenzielle Studiotermine musste er sich für geraume Zeit erst einmal abschminken.
Sein letztes Album “Valentine”, aufgenommen mit seinem gefeierten Trio mit Bassist Thomas Morgan und Drummer Rudy Royston, hatte er noch kurz vor Ausbruch der Pandemie fertiggestellt und mitten in ihr herausgebracht. Dann kam die lange Zwangspause. Und aus dieser meldet er sich jetzt endlich mit einem neuen Album zurück, auf dem er seine Eindrücke und Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre musikalisch verarbeitet hat. Gleichzeitig präsentiert er auf “Four”, so der Titel seines dritten Albums für Blue Note, ein brandneues Quartett.
“Es war für mich traumatisch, nicht unter Menschen zu sein”, sagt Frisell, auf den Lockdown zurückblickend, “also griff ich zu meiner Gitarre, und meine Gitarre rettete mich.” In den langen Monaten, in denen er in den eigenen vier Wänden gefangen war, brachte er etliche neue Melodien und kompositorische Ideen zu Papier. Als er dann schließlich die Sessions für “Four” anberaumen konnte, hatte er bereits stapelweise Notizbücher mit fragmentierter Musik angehäuft. Indem er seinen Mitstreitern kaum mehr als musikalische Skizzen vorlegte, spornte Frisell sie zu eine Art spontaner, kooperativer Orchestrierung an. “Nichts war wirklich bis ins Detail geplant”, sagt er. “Jeder hatte nur die Informationen, die ich ihm gab. Aber es war absolut offen, wer wann was spielt. Ohne Bass war es ein wenig beängstigend, aber ich habe nicht so sehr über die Instrumente nachgedacht. Es geht stets mehr um die chemische Reaktion, die ablaufen wird.”
Und die chemische Reaktion zwischen Frisell, Saxofonist Greg Tardy, Pianist Gerald Clayton und Schlagzeuger Johnathan Blake war wirklich erstaunlich, obwohl die vier Musiker in dieser Konstellation nie zuvor zusammengespielt hatten. Auf dem gesamten Album ist jeder Einzelne gleichermaßen melodisch und strukturell in die Musik eingebunden.Von der ersten Phrase an bestimmen starke, aber subtile Entscheidungen die Tiefe des Charakters dieser Musik. Ihr kollektiver Kontrapunkt verändert sich, aber sie bleiben der ursprünglichen Idee eines jeden Songs treu. Nur selten tritt einer allein ins Rampenlicht.
Da ein Großteil des Repertoires in einer Zeit entstand, als Frisell einige schmerzliche persönliche Verluste erlitt, ist das Album teilweise von wehmütiger Melancholie geprägt. Binnen kurzem verlor der Gitarrist drei langjährige, sehr enge Freunde, denen er auf dem Album nun gewissermaßen die letzten Ehren erweist: “Dear Old Friend” ist seinem Kindheitsfreund Alan Woodward gewidmet, den Bill schon kannte, bevor er das erste Mal eine Gitarre in die Hand nahm. “Claude Utley” erinnert er an einen aus Seattle stammenden Maler. Und “Waltz For Hal Willner” ist ein Tribut an einen der einfallsreichsten Produzenten des Jazz.