Ein Klassiker, der aus dem Rahmen fiel: The Colours Of Chlöe
36 Jahre sind mittlerweile seit der Einspielung dieses Albums verstrichen, das zu den absoluten Klassikern des gesamten ECM-Katalogs zählt. Der All Music Guide (AMG) bewertete “The Colours Of Chlöe” mit viereinhalb von fünf möglichen Sternen, nennt es Webers “bekannteste und einflussreichste Platte” und meint, sie habe maßgeblich dazu beigetragen, den ECM-Sound zu definieren – jenen mysteriösen Sound, um dessen reale Existenz nun schon seit Jahrzehnten gestritten wird. Gibt es ihn nun wirklich oder existiert er nur in der Wahrnehmung einiger Personen? Die Frage wird die Jazzwelt wohl noch weitere Jahrzehnte lang beschäftigen. Das kanadische Jazzmagazin Coda schrieb über Eberhard Webers Debütalbum im November 1975: “Dies ist ein äußerst feines, bewegendes Album, eine Platte, die vor allem anders klingt als alle anderen, die derzeit erscheinen.”
Bevor Eberhard Weber 1973 mit “The Colours Of Chloë” sein erstes Soloalbum für ECM (und überhaupt) aufnahm, hatte er sich durch sein Zusammenspiel mit Wolfgang Dauner, Volker Kriegel und dem Dave Pike Set schon einen Namen innerhalb der europäischen Jazzszene gemacht. Durch “The Colours Of Chloë” wurde man dann auch in den USA auf diesen Ausnahmemusiker aufmerksam. Und dies obwohl er das Album nicht mit amerikanischer Starbesetzung aufgenommen hatte, sondern ausschließlich mit europäischen Musikern: dem damals noch unbekannten, erst 24jährigen Pianisten und Synthesizerspieler Rainer Brüninghaus, dem niederländischen Flügelhornisten Ack van Rooyen, den beiden Schlagzeugern Peter Giger und Ralf Hübner sowie den Cellisten des Stuttgarter Südfunk-Sinfonieorchesters.
“Meine Ankunft bei ECM war wie ein Traum”, erinnert sich Eberhard Weber 2004 an diese Zeit zurück. “Heute würden sich junge Musiker glücklich preisen, wenn sie bei den Plattenfirmen nicht die Klinken putzen und sich anbieten müßten. 1972 war das noch anders: Manfred Eicher, den ich da schon einige Zeit kannte und häufig bei Konzerten und auf Festivals in Süddeutschland (immerhin war er damals noch aktiver Bassist) getroffen hatte, fragte mich, ob ich für seine noch relativ neue Plattenfirma ein Album aufnehmen wolle. Das Ergebnis war dann ‘The Colours Of Chloë’, im darauffolgenden Jahr aufgenommen und und 1975 mit dem Großen Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Just die gleichnamige Komposition, die wahrscheinlich meine bekannteste ist, musste in zwei Etappen aufgenommen werden. Es kostete mich sechs Monate, ein funktionierendes Format zu finden.”
Und wie gut dieses Format dann funktioniert, beweist die ungebrochene Popularität dieses Albums. Der Vibraphonist Gary Burton nahm das Titelstück sieben Monate später mit Weber, Pat Metheny, Mick Goodrick, Steve Swallow und Bob Moses auch für sein ECM-Album “Ring” (ECM 1051) auf.
The Colours Of Chloë
ECM 1042
Musiker: Eberhard Weber – bass, cello & ocarina / Rainer Brüninghaus – piano & synthesizer / Peter Giger – drums, percussion / Ralf Hübner drums / Ack van Rooyen – fluegelhorn / Cellos of the Südfunk Symphony Orchestra Stuttgart
Songs: More Colours / The Colours Of Chloë / An Evening With Vincent van Ritz / No Motion Picture
Aufnahmedatum: Dezember 1973
Kontemplatives Meisterwerk: The Following Morning
“The Following Morning”, im August 1976 aufgenommen, war Eberhard Webers drittes Soloalbum für ECM. Hatte er sein Debütwerk noch mit zwei Schlagzeugern/Perkussionisten eingespielt, so entstand diese neue Aufnahme nun ganz ohne Schlagzeuger. Mit von der Partie war wie auf den beiden vorangegangenen Weber-Alben “The Colours Of Chloë” und “Yellow Fields” (diese Platte wurde gerade in der 3-CD-Box “Colours” wiederveröffentlicht) aber wieder der Pianist Rainer Brüninghaus. Zu den beiden Solisten gesellten sich außerdem die Cellisten, Waldhorn- und Oboespieler der Osloer Philharmonie. Die Stimmung der Musik ist entsprechend kontemplativer, wobei die Spannung subtil und langsam gesteigert wird. Weber boten sich in seinen vier Eigenkompositionen reichlich Gelegenheiten, seinen unverkennbaren Baß in lang gehaltenen Tönen singen zu lassen. Und das E-Piano von Rainer Brüninghaus’ klingt hier stellenweise wie ein Vibraphon. “The Following Morning” ist ein Album, dessen ganze Schönheit sich mit jedem Hören mehr erschließt.
The Following Morning
ECM 1084
Musiker: Eberhard Weber – bass / Rainer Brüninghaus – piano & e-piano / Members of Oslo Philharmonic Orchestra – celli, French horns & oboe
Songs: T. On A White Horse / Moana I / The Following Morning / Moana II
Aufnahmedatum: August 1976
Starthilfe für den jungen Bill Frisell: Fluid Rustle
Im Januar 1979 ging Eberhard Weber mit einer wirklich ungewöhnlichen Besetzung ins Studio, um für ECM sein fünftes Album “Fluid Rustle” aufzunehmen, das im AMG dieselbe exzellente Wertung erhielt wie “The Colours Of Chloë” und übrigens auch das 1993 entstandene Album “Pendulum”. Für Weber ist “Fluid Rustle” aus drei Gründen besonders erinnernswert: “Erstens schaffte ich es (und dies obwohl viele vor mir bei dem Versuch gescheitert waren) Gary Burton zu überzeugen, Marimba zu spielen. Zweitens ist es Bill Frisells erste Plattenaufnahme überhaupt. Ich hatte Bill während einer England-Tournee mit dem Mike Gibbs Orchestra kennengelernt und mir fiel sofort sein außerordentliches Talent auf. Drittens gab es da die wunderbare Kooperation mit Norma Winstone und Bonnie Herman, die mit enormer Hingabe und Sorgfalt im Overdub-Verfahren Akkorde aufnahmen, die aus bis zu sechzehn Stimmen bestanden. Diese Produktion war für alle Beteiligten eine Geduldsprobe, weil wir die meiste Zeit damit verbrachten, darauf zu warten, dass die einzelnen Spuren aufgenommen wurden. Erst danach nahm das Arrangement endlich Form an. In dem Titelstück ‘Fluid Rustle’ spielt Gary die gesamte Melodie auf dem Vibraphon in Trillern – ich glaube, das war etwas, was zuvor noch niemand gemacht hatte. Und ich könnte mir niemanden vorstellen, der für diese Aufgabe besser geeignet gewesen wäre als er.”
Fluid Rustle
ECM 1137
Musiker: Eberhard Weber – bass & tarang / Bonnie Herman – voice / Norma Winstone – voice / Gary Burton – vibraharp & marimba / Bill Frisell – guitar & balalaika
Songs: Quiet Departures / Fluid Rustle / A Pale Smile / Visible Thoughts
Aufnahmedatum: Januar 1979