ECM Sounds | ECM Records

ECM Jahresrückblick 2024

Während bei ECM Records in Gräfelfing bei München schon fleißig die ersten Veröffentlichungen für 2025 vorbereitet werden, nutzen wir die Gelegenheit, an dieser Stelle noch einmal die vielen Alben des Jahrgangs 2024 Revue passieren zu lassen.
ECM 2024
ECM 2024
18.12.2024
Hier finden Sie alle ECM und ECM New Series Veröffentlichungen aus 2024.
Matthieu Bordenave – The Blue Land
Für sein zweites ECM-Album “The Blue Land” erweiterte der in München lebende französische Saxofonist Matthieu Bordenave sein Trio mit Patrice Moret (Bass) und Florian Weber (Klavier) um den britischen Schlagzeuger James Maddren, dessen unermüdlicher Puls dem ohnehin schon eigenwilligen Ensembleklang einen faszinierenden Kontrapunkt verleiht. “Ist das Jazz oder zeitgenössische Klassik?”, fragt sich Jens-Uwe Sommerschuh in der Sächsischen Zeitung. “Es ist vor allem Musik. Hier werden komplexe melodische Einfälle des Komponisten im Ensemble improvisatorisch weitergesponnen zu Stimmungen, zu Klangbildern, zu Gebilden, die wehen, schwingen, federn. Es ist Musik, die aufregt und entspannt. Es ist eine Form des Jazz, die weniger nach Prinzipien und Genregrenzen fragt, sondern einen grundlegenden Anspruch formuliert: Musik spielend und hören zu genießen.”

Arve Henriksen & Harmen Fraanje – Touch Of Time

Der  norwegische Trompeter Arve Henriksen und der niederländische Pianist Harmen Fraanje zeigen auf ihrem Duo-Album “Touch Of Time”, dass sie ein unglaubliches Gespür für das Timbre, die Phrasierung und den melodischen Ansatz des jeweils anderen besitzen. “Ihre Soundvorstellungen ergänzen sich”, bemerkt Ralf Dombrowski im WDR. “Arve Henriksen versteht die Trompete als Ausgangspunkt für stimmnahe Experimente und modifiziert sie klanglich soweit, dass sie wie eine Flöte klingen kann. Harmen Fraanje […] experimentiert mit eigenen Projekte aber über das Klavier hinaus auch mit Electronics. Im Duo lassen sie sich treiben, schweben in Texturen und deuten oft Musik mehr an, als sie motivisch vollständig auszuführen. ‘Touch Of Time’ hat daher den Charme des Ungebundenen, wirkt klangzeitlich losgelöst in einem harmonisch zugänglichen Soundgefüge, zart und raumfüllend zugleich.”

Vijay Iyer, Linda May Han Oh & Tyshawn Sorey – Compassion

Auf “Compassion”, seinem zweiten Album mit Linda May Han Oh und Tyshawn Sorey, erkundet Vijay Iyer wieder musikalisches Neuland und zollt zugleich zwei ECM-Künstlern Tribut, die ihn inspiriert haben: Chick Corea und Roscoe Mitchell. Im Spiegel nennt Tobias Rapp das Trio “eine der großen Dreierformationen des Jazz” und schreibt: “Es gibt nur wenige Trios, deren Mitglieder auf einer so feinstofflichen Ebene miteinander kommunizieren. Der virtuose Zuhörer Iyer, der melodietrunkene Drummer Sorey, die Bassistin Oh, die ihr Instrument spielt, als würde sie Satzzeichen setzen. Ob in der großartigen Stevie-Wonder-Coverversion ‘Overjoyed’ oder in Iyers eigenen Kompositionen: Die drei Musiker spielen zusammen, als hielten sie telepathisch Kontakt zueinander. Als könnte das freie Gespräch die Probleme der Welt in Schönheit auflösen.”

John Surman – Words Unspoken
Der Saxofonist und Klarinettist John Surman besitzt seit jeher ein Händchen für melodiöse, folkloristische Themen und fantasievolle Improvisationen. Auf “Words Unspoken” versammelt der in Oslo lebende Brite Musiker aus vier Generationen zu einer neuen klanglichen Entdeckungsreise. “Was für ein schönes Album!”, jubelt Wolf Kampmann in Eclipsed. “Der britische Saxofonist John Surman hatte schon immer einen unvergleichlich kultivierten Ton, den er auf Sopran- und Baritonsaxofon sowie auf der Bassklarinette auch auf seinem neuen Album abzurufen weiß. Mit Gitarrist Rob Luft, Vibrafonist Rob Waring und Schlagzeuger Thomas Strønen schließt der79-Jährige an die großen Erfolge seiner ECM-Alben aus den1970er und 80erJahren an. Er ist ein romantisch expressiver Landschaftsmaler, dessen Klangfarbenauftrag stets an seinen Landsmann William Turner erinnert. Sein Farbauftrag ist kräftig und doch transparent, das Klanglicht seiner Kompositionen suggeriert kosmische Weite.”

Fred Hersch – Silent, Listening
Dass er ein guter Zuhörer und einfühlsamer Spielpartner ist, bewies der Pianist Fred Hersch zuletzt im Duo mit dem Trompeter Enrico Rava auf seinem ECM-Debüt “The Song Is You”. Mit “Silent, Listening” hat er nun als Solist ein von Spontaneität und Klangsensibilität geprägtes Meisterwerk vorgelegt, das Hörer vom ersten bis zum letzten Ton fesselt. “Einen besonderen Zustand der Versenkung verlangt auch die reine Solodarbietung, vor allem, wenn sie voller Risiken ist, Selbstgewissheiten meidet, und kein virtuoses Schmankerl darstellt aus der eigenen Komfortzone”, meint Michael Engelbrecht im Deutschlandfunk. “Und genau so ein rares Solopianowerk von einsamer Klasse ist dem 68-jährigen Fred Hersch gelungen. Er ist kein Pianist, der seine Zuhörer mit aufwallendem Pathos einfängt. Sein an der Oberfläche kühl und kontrolliert wirkendes Spiel schlägt bei aufmerksamem Zuhören rasch um in einen immer wieder neu aufbrechenden, enorm reichhaltigen, Sinneszauber. Neben eigenen Stücken entschied er sich, im Austausch mit dem Produzenten Manfred Eicher, auch drei Klassiker darzubieten.  Der Titel des Albums könnte treffender nicht sein: ‘Silent, Listening’.”

Oded Tzur – My Prophet
Um die perfekte Verbindung von Form und Freiheit geht es dem  israelischen Saxofonisten Oded Tzur auf seinem dritten ECM-Album “My Prophet”. Sein Quartett  mit dem Pianisten Nitai Hershkovits und dem Bassisten Petros Klampanis erhält hier durch durch den neuen brasilianischen Schlagzeuger Cyrano Almeida frische Impulse. “In vier Stücken von jeweils 8 bis 10 Minuten wendet er an, was für ihn, anfangs viel aus der nordindischen Musik schöpfend, ‘eine Wissenschaft von den akustischen Schwingungen’ ist”, schreibt Karl Lippegaus in Fono Forum. “Aus seinem Tenor dringen erinnerte Melodien, oder auch neue, von großer Schönheit […] Der vier Jahre jüngere Israeli Nitai Hershkovits agiert völlig unkonventionell am Klavier und erfindet für ‘Through A Land Unsown’ einen Tanz der wirbelnden Derwische. Jedes Solo öffnet Fenster, schafft ein perfektes Setting, in das Oded Tzur am Saxofon sich einklinkt. Fantastisch, wie der neue brasilianische Drummer Cyrano Almeida dazu die kleinen Stahlbesen tanzen lässt.”

Tomasz Stańko Quartet – September Night
September Night” ist eine bisher unveröffentlichte Live-Aufnahme des international gefeierten polnischen Tomasz Stańko Quartet, die im September 2004 in der Münchner Muffathalle aufgezeichnet wurde. Hörbar inspiriert von der dynamischen Unterstützung und kommunikativen Kraft seiner jungen Spielpartner (Pianist Marcin Wasilewski, Bassist Sławomir Kurkiewicz und Schlagzeuger Michał Miśkiewicz), läuft der charismatische Trompeter zu absoluter Höchstform auf. “Welche Richtung das Quartett auch immer einschlägt, stets ist konzentrierte Aufmerksamkeit und Sinn für Ensemblesound bemerkbar”, notiert Hans-Dieter Grünefeld in Sonic. “Diese ‘September Night’ ist nicht trübsinnig, sondern voller Esprit und Agilität. Ein wunderbares Album, bestens geeignet, den Freigeist Tomasz Stanko posthum zu würdigen.”

Norma Winstone & Kit Downes – Outpost Of Dreams
Auch mit 82 Jahren stellt sich Norma Winstone, die “Grande Dame des britischen Jazz” (BBC), noch mutig neuen musikalischen Herausforderungen. Auf “Oupost Of Dreams” ist sie im Duo mit dem Pianisten Kit Downes zu erleben, der einer wesentlich jüngeren Generation angehört. “Diese stillen, stimmigen Songs sind besonders in den zurückhaltenden Duo-Aufnahmen pure Poesie”, schreibt Jörg Konrad in Kultkomplott. “Es ist die Intimität des stillen Dialogs, der die Einspielung so besonders macht. Tragik und Verletzbarkeit, Würde und Erfüllung liegen in der Art ihrer Interpretationen nah beieinander. Zudem mit einem erfrischenden Understatement vorgetragen und von jedem Diseusen-Stil zum Glück meilenweit entfernt. Winstone schert sich wenig um die gedachte Demarkationslinie zwischen Jazz und abendländischer Kunstmusik. Sie verbindet Gegensätze und verkürzt Distanzen. Und auch da scheint Kit Downes ein idealer Partner, so sensibel wie zurückhaltend – letztendlich beflügelnd.”

Jordina Millà & Barry Guy – Live In Munich
Mit der Pianistin Jordina Millà und dem Kontrabassisten Barry Guy haben sich zwei freigeistige Musiker zu einem Duo der besonderen Art zusammengetan. Für das Album “Live In Munich”  hat ECM im Februar 2022 ihren ersten gemeinsamen Auftritt im Saal des Schweren Reiters aufgezeichnet. “Die spanische Pianistin Jordina Millà und der englische Kontrabassist Barry Guy kommunizieren mit äußerst feinen Antennen für den Dialog, abseits musikalischer Konvention”, meint Ulrich Habersetzer im DLF. “Man kann ‘Free Jazz’ zu dieser Musik sagen, man kann aber auch einfach festhalten, dass hier zwei Menschen mit herausragenden und ungewöhnlichen instrumentalen Fähigkeiten in den Austausch treten. Kraftvoll, kantig, verblüffend, verstörend, aber auch unglaublich schön ist die Musik, die Millà und Guy aus dem Moment heraus in dieser Liveaufnahme aus München vom Februar 2022 entstehen lassen. ‘Live in Munich’, ein lebendiges Album, das den Moment feiert. Sehr gelungen!”

Giovanni Guidi, James Brandon Lewis, Thomas Morgan & João Lobo – A New Day
Der New Yorker Tenorsaxofonist James Brandon Lewis hat sich in den letzten Jahren mit eigenen Alben und spannenden Kollaborationen als eine der aufregendsten neuen Stimmen auf seinem Instrument profiliert. Für die Aufnahme von “A New Day” lud ihn das Giovanni Guidi Trio zu einem spannenden Austausch ohne Netz und doppelten Boden ein. “Mit dem traditionellen Weihnachtslied ‘Cantos del Ocells’, von Pau Casals in den Stand einer  heimlichen katalanischen Hymne erhoben, ist der vorwiegend lyrisch-elegische Ton gesetzt”, bemerkt Harry Schmidt in Jazzthetik. “Lewis’ cool-bewegliche Holzbläserstimme fügt sich nahtlos ein in die eloquente feinnervige Konversation. Guidi leitet sie mit luzidem Anschlag, delikater Phrasierung und synoptischer Gestaltung. In ‘To A Young Student’ besticht Morgans Bogenarbeit, in ‘Means For A Rescue’ Lobos polyrhythmisches Gespinst.”

Lucian Ban & Mat Maneri – Transylvanian Dance (Live)

Zehn Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Album für ECM melden sich der rumänische Pianist Lucian Ban und der New Yorker Bratschist Mat Maneri mit ihrer zweiten Duo-Aufnahme “Transylvanian Dance” zurück. Ausgangspunkt sind diesmal Transkriptionen von Volks- und Tanzliedern, die Béla Bartók vor einem Jahrhundert in Dörfern des Banats und Transsilvaniens zusammengetragen hat und die dem Duo hier als “Sprungbretter und melodisches Quellenmaterial” für Improvisationen dienen. “Das Duo harmoniert perfekt”, urteilt Wolf Kampmann in Jazzthing. “Ban und Maneri verdichten folkloristische Ideen zu einer kammermusikalischen Suite. Vor allem der Bratschist, der bei seinem Vater Joe Maneri durch eine strikte Schule mikrotonaler Sachlichkeit gegangen ist, entdeckt hier völlig neue  Seiten (und Saiten) emotionaler Verzückung in sich. Die innige Vertanztheit dieses Pas de deux läuft auf eine Art Ritual hinaus, die jede Distanz zwischen Machern und Zuhörern aufhebt. Man wird beim Hören Teil des Klangs, der zwischen Tröpfeln und Drone changiert.”
 
Florian Weber – Imaginary Cycle
Mit einer außergewöhnlichen Besetzung präsentiert der Pianist Florian Weber auf “Imaginary Cycle” einen fantasievollen vierteiligen Zyklus mit einer Prélude und einem Epilog. Das großformatige und in seinem Naturell einzigartige Werk ist ein Hybrid verschiedener musikalischer Sprachen, in dem Weber Harmonisches und Kühnes nahtlos miteinander verbindet und die Grenzen zwischen Improvisation und Komposition verwischt. “Kategorien wie Jazz oder Klassik, Komposition oder Improvisation lässt ‘Imaginary Cycle’ weit hinter sich”, stellt Ralf Döring in Jazzthetik fest. “Weber hat Musik von Gesualdo und Orlando di Lasso für dieses Album studiert, sich aber auch bei Anton Bruckner umgehört, um zu lernen, was er mit Bläsern anstellen kann. Eine außergewöhnliche Mischung also. […]  Alte, historische Formen treffen auf zeitgenössische Improvisation, tiefe Bläser erweitern den Klangraum des Klaviers und eröffnen gleichzeitig neue Freiheiten des Spiels. ‘Atmosphäre entsteht durch das Verhältnis der Dinge zueinander’, sagt er. Was er damit meint, kann man auf dem neuen Album hören.”

Alice Zawadzki, Fred Thomas & Misha Mullov-Abbado – Za Górami
Alice Zawadzki (Gesang, Violine), Fred Thomas (Klavier, Schlagzeug, Fidel) und Misha Mullov-Abbado (Bass) gehören zu den aufregendsten Talenten der zeitgenössischen Improvisations- und Jazzszene Großbritanniens. Auf “Za Górami” präsentieren sie sich als einfallsreiches und perfekt aufeinander eingespieltes Trio, das in seiner Musik folkloristische Idiome unterschiedlichster Herkunft und mit oftmals sephardischem Hintergrund zusammenfließen lässt. “Es ist ein stilles wie ergreifendes Debüt”, meint Jörg Konrad in Kultkomplott, “ein Album voller symbolischer Querverweise, mit Klängen von raffinierter Beiläufigkeit, das seine Energie und Intensität aus einem unerschütterlich scheinenden Miteinander zieht. Man spürt auf ‘Za Gorami’ die ungeheure musikalische Erfahrung seiner Protagonisten. Ihr Repertoire setzt sich aus Impressionen und Zitaten argentinischer und französischer Folklore zusammen, es finden sich zahlreiche Verweise auf die sephardische Kultur und deren Lieder in ladinischer Sprache. Zugleich spürt man die große Nähe zur Kammermusik und zu sensibler Improvisationskunst […] Musik mit Authentizität und Identität.”

Trygve Seim & Frode Haltli – Our Time
Mit “Yeraz” legten der Saxofonist Trygve Seim und der Akkordeonist Frode Haltli 2008 ein Duo-Album von “purer Schönheit” (Die Zeit) vor. Nun erscheint mit “Our Time” der zweite musikalische Geniestreich der beiden Norweger. Dafür haben sie ein Programm mit überwiegend improvisierten, aber auch komponierten Stücken zusammengestellt, das ihre erstaunliche Kreativität unterstreicht und zum Nachdenken anregt. “Eine traumwandlerische Sammlung von freien Improvisationen und eigenen Stücken, sowie, mit Bedacht ausgewählt, unter die Haut gehende Versionen ferner Folksongs”, meint Michael Engelbrecht im Deutschlandfunk. “Mir erscheinen diese schwebend anmutenden Dialoge zeitgenössischen Klageliedern nahe zu kommen, in ihrer mitunter schlicht schmerzhaften Schönheit.”

Louis Sclavis & Benjamin Moussay – Unfolding
Der Klarinettist Louis Sclavis und der Pianist Benjamin Moussay spielen schon seit mehr als zwanzig Jahren in den unterschiedlichsten Konstellationen zusammen.  Nun haben die beiden Franzosen mit “Unfolding” endlich ihr erstes Duo-Album aufgenommen, für das sie ein Programm mit ausschließlich neuen Eigenkompositionen zusammengestellt haben, in dem sich lyrische Kontemplation und verschmitzter Erfindungsreichtum die Waage halten. “Malerisches Themenmaterial und pianistische Stimmungsbilder sind zwar zugegen. Sie bilden allerdings nur den Ausgangspunkt für raffinierte Extrapolationen”, schreibt Ljubiša Tošić in der österreichischen Tageszeitung Der Standard. “Das funktioniert im Leisen wie bei ‘Loma del Tanto’. Das funktioniert aber auch bei Kompositionen wie dem expressiv sich steigernden ‘Sieta Lagunes’, bei dem Sclavis zu epischen Gedankenlinien ausholt, ist er doch ein wahrer Meister des Spontanen.”

Tord Gustavsen Trio – Seeing

Tord Gustavsen war noch nie ein Pianist, der zu solistischer Geschwätzigkeit neigte. Aber so konzentriert und prägnant wie auf “Seeing”, dem sechsten Album mit seinem gefeierten Trio, war sein Spiel nie zuvor. Die kompakten Songformen “spiegeln meine persönliche Entwicklung wider”, sagt der norwegische Pianist. “Mit zunehmendem Alter konzentriere ich mich auf das Wesentliche im Leben und in der Musik.” “Bis auf den ungewohnt energischen Einstieg bleibt Gustavsen bei den verhaltenen, sangbaren Motiven und variiert und ornamentiert eher nah an den ursprünglichen Themen”, schreibt Ralf Dombrowski in Audio/Stereoplay, wo das Album zur “Jazz-CD des Monats” ernannt wurde. “Das ist so gedacht, als Musik, die sich in der Gemeinsamkeit entwickelt und das kammerjazzige Ganze im Blick hat, nicht die Einzelleistung. Bei anderen Bands könnte das zu wenig sein, aber das Tord Gustavsen Trio beherrscht die pointierte Reduktion.”

Avishai Cohen, Yonathan Avishai, Barak Mori & Ziv Ravitz – Ashes To Gold
Auf “Ashes To Gold”, seinem bislang aufwühlendsten Album, präsentiert der Trompeter Avishai Cohen mit seinem Quartett  eine gleichnamige fünfteilige Suite, die er unmittelbar nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel komponierte. Der Hörer taucht hier in das Wechselbad der Emotionen ein, das Cohen beim Schreiben der Stücke durchlebte: von Wut über Wachsamkeit bis hin zu tiefer Melancholie, aber auch Hoffnung. “Es ist keine Musik der Stärke geworden”, bemerky Tobias Rapp im Spiegel. “Nichts in der titelgebenden Suite ist kämpferisch oder auch nur aggressiv. Cohen und sein Quartett klingen verletzt, sanft, manchmal auch wütend, eine Passage aus dem berühmten Klavierkonzert von Maurice Ravel, die er einstreut, sucht Trost in der Vergangenheit. Das letzte Stück des Albums, eine Komposition von Cohens Tochter, lebt von einer ganz einfachen Melodie. Es ist Musik, die immer wieder klingt, als würde jemand für sich allein pfeifen – in einem sehr dunklen Wald.”

Keith Jarrett – The Old Country
Das Live-Album “At the Deer Head Inn” von Keith Jarrett. Gary Peacock und Paul Motian wurde 1994 weltweit als Meisterwerk gefeiert. Zum 30-jährigen Jubiläum dieserr Veröffentlichung ist  nun mit “The Old Country” ein zweites, prall gefülltes Album mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen dieses historischen Konzerts erschienen, das eine weitere Sternstunde dieser Meister der Jazzimprovisation bietet. “Der Abend stand unter einem guten Stern”, konstatiert Arne Schumacher in Jazzthetik, “das hört man auf dem ersten Album von 1994, und das hört man genauso hier. Diese acht Titel sind keine Reste, eher der zweite Teil eines Doppels. Die Version von ‘I Fall In Love Too Easily’ geht direkt in die Seele. Nat Adderleys ‘The Old Country’ ist ebenso wunderbar wie das eröffnende ‘Everything I Love’. Mit Paul Motian, Vertrauter der frühen Jarrett-Bands, hielt ein etwas anderer Geist Einzug, als man es von Jack DeJohnette gewohnt war. Er spielt straight-ahead wie ein alter Session-Hase – auf seine eigene markante Weise. Ein Club-Gig um die Ecke als Abwechslung zu den Konzerthäusern der Welt: Vielleicht trug auch das wesentlich zum gelösten, zugleich intensiven Gefühl bei.”
 
Colin Vallon, Patrice Moret & Julian Sartorius – Samares
Lyrische und melancholische Kompositionen sowie subtile musikalische Interaktionen gehören seit jeher zu den herausragenden Merkmalen des Colin Vallon Trios. Und sie prägen auch “Samares”, das mittlerweile dritte Album des Schweizer Ensembles für ECM, für das sich Vallon wieder von der Natur inspirieren ließ. “Die Musik dieses Trios klingt, als hätte sie schon immer gegeben. Als wäre sie ein Teil der Natur wie Wasserrieseln, Blätterrauschen, Windeswehen”, findet Peter Rüedi in der Weltwoche. “Colin Vallon, der 1980 in Lausanne geborene Pianist, seine Partner Patrice Moret am Bass (*1972 in Aigle) und Julian Sartorius (*1982 in Thun) sind nicht nur seit den ECM-Alben ‘Le Vent’ (2014) und ‘Danse’ (2017) eine immer dichter zusammengewachsene Band; sie spielen eine Musik, die inzwischen insgesamt von einer organischen Selbst-Verständlichkeit ist, das sie wie gewachsen klingt und nicht wie gemacht. […] Sartorius’ meist rhythmisch freies, offenes, immer subtiles Schlagzeug, Morets diskreter, aber felsenfester Kontrabass und Vallons suggestives, gelegentlich zart präpariertes Piano ergeben einen Klang, der mehr ist als die Summe seiner Stimmen. Ein Naturereignis eben: sehr behutsam, sehr eigenwillig, gleichzeitig atmosphärisch und präzise.”
 
Stephan Micus – To The Rising Moon
Auf seinem neuen Album “To The Rising Moon” lässt der Multiinstrumentalist Stephan Micus fast ausschließlich Saiteninstrumente verschiedenster Kulturen erklingen. Gezupfte ebenso wie gestrichene. Hauptakteur ist diesmal die Tiple, eine Kastenhalslaute und das Nationalinstrument Kolumbiens. “Micus setzt ganz auf die Kraft der Allmählich- und Beständigkeit”, schreibt Sebastian Meißner in Sounds and Books. “Statt dynamischer Ausbrüche oder überraschender Wendungen sucht Micus die Tiefe, taucht tiefer und tiefer in die Atmosphäre seiner Songs ein und legt sich auf ihren Grund. Genau dadurch entsteht eine ungemeine Kraft, ein unwiderstehlicher Sog, Hingabe. […] ‘To The Rising Moon’ ist ein zartes, intimes und bewegendes Album geworden. Und ein starker Kontrast zum Vorgänger ‘Thunder’. Es zeigt einmal mehr eindrücklich die Vielseitig- und Wandelbarkeit seines Schöpfers. Micus ist mal wieder da draußen. An einem Ort, an dem sich vor ihm niemand hingewagt hat.”
 
Jakob Bro – Taking Turns
Im März 2014 versammelte der dänische Gitarrist Jakob Bro im New Yorker Avatar Studio mit Lee Konitz, Andrew Cyrille, Bill Frisell, Jason Moran und Thomas Morgan eine Gruppe sehr individueller Improvisatoren um sich, um mit ihnen sieben seiner Kompositionen einzuspielen. Jetzt sind die betörend schönen und ungemein spannenden Aufnahmen unter dem Titel “Taking Turns” bei ECM erschienen. “Das Album hat es in sich”, lobt Wolfgang Gratzer im Jazzpodium, “setzt der höchst vital agierende Andrew Cyrille (dr) doch so viele rhythmische Akzente (Anspieltipp: ‘Haiti’), dass Konitz im Verbund mit Jakob Bro und Bill Frisell (g), Thomas Morgan (b) und Jason Moran (p) gar nicht umhinkommt, aktiv am kollektiven Storytelling teilzuhaben. Das Generationequintett verräumlicht die weit gezogenen, Gelassenheit verströmenden Linien von Bro in eindrücklich vielfältiger Manier. Konitz blüht auf.” 
 
Thomas Strønen – Relations
Mit “Relations” ist Thomas Strønen ein bemerkenswert unorthodoxes Album gelungen. Für das am Anfang der Corona-Pandemie begonnene Projekt trat der norwegische Schlagzeuger in eine Art musikalischen Ferndialog mit vier Musikern, mit denen er nie zuvor gespielt hatte. “Jeder von ihnen reagierte mit völliger kreativer Freiheit auf die vorab aufgenommenen Schlagzeugspuren”, beschreibt Felipe Freitas das Projekt auf Jazztrail. “Der Pianist Craig Taborn und der Saxofonist Chris Potter nahmen ihre Parts in New York auf, die Sängerin und Kantele-Spielerin Sinikka Langeland in Oslo und der in Barcelona geborene Multiinstrumentalist Jorge Rossy, der hier ausschließlich Klavier spielt, in Basel. Entstanden sind so zwei Solostücke für Perkussion und zehn Duette, die sich nicht an konventionelle Jazzformate halten, sondern einzigartige Klanglandschaften erkunden. […] ‘Relations’ vermeidet Konservatismus und bietet unerwartete Überraschungen und intime Dialoge zwischen Strønens breitgefächertem rhythmischen Vokabular und den unverwechselbaren Stimmen seiner Mitstreiter. Auch wenn es manchmal etwas schräg klingt, spiegelt dieses Werk den Geist von Improvisationskünstlern wider, die keine Angst davor haben, etwas erfrischend Anderes zu präsentieren.”
 
Arild Andersen – Landloper (Live)
Der norwegische Bassist Arild Andersen weist mit insgesamt 28 Aufnahmen als Leader und Sideman eine umfangreiche ECM-Diskographie auf. Was ihr bislang fehlte, war ein reines Soloalbum. Mit “Landloper” schließt er diese Lücke nun eindrucksvoll. “Die schlichte Eleganz des Bassspiels von Arild Andersen inspiriert und unterhält Hörerschaften seit den 1970er Jahren”, bemerkt  Neil Duggan auf AllAboutJazz. “In seiner mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Karriere hat Andersen in Jazztrios und -quartetten gespielt, aber auch die Grenzen des traditionellen Jazz überschritten und mit Streichquartetten zusammengearbeitet, norwegische Volkslieder erforscht und Theatermusik komponiert. Auf seinem ersten Soloalbum ‘Landloper’ verwebt er Jazzklassiker, Eigenkompositionen und sorgfältig ausgewählte Coverversionen. Seine Auswahl der Werke von Ornette Coleman, Charlie Haden und Albert Ayler spiegelt den Einfluss dieser Innovatoren auf seine musikalischen Ideen wider. […] Während des gesamten Albums beweist dieser wahre Meister des Kontrabasses seine außergewöhnliche Fähigkeit, Rhythmen und harmonische Nuancen in einer intimen Klanglandschaft zu artikulieren, was das Album zu einem eindringlichen Genuss macht.”

ECM 2024 Rezensionen

Über das Label ECM

ECM Sounds
ECM Sounds
13.12.2024
Das unabhängige Label ECM -Edition of Contemporary Music- wurde 1969 vom Produzenten Manfred Eicher gegründet, und hat mittlerweile mehr als 1700 Alben veröffentlicht.
Der besondere Anspruch des Kulturunternehmens fand früh Beachtung. 1972 berichtete der Spiegel erstmals über das Label eines 29-jährigen Münchner “Einzelgängers”, für das sich immer mehr prominente US-Musiker interessierten: Weil dort, so das Nachrichtenmagazin, die “derzeit besten Jazz-Aufnahmen” erschienen, “mustergültig in Klang, Präsenz und Pressung”. Zweieinhalb Jahre lag die Gründung der Firma damals zurück. Der in Lindau geborene Manfred Eicher hatte in Berlin Kontrabass studiert. Nachdem er früh seine Liebe zu Musikern wie Bill Evans, Paul Bley, Miles Davis und dessen Bassist Paul Chambers entdeckt hatte, beschäftigte er sich auch intensiv mit Jazz. Als Produktionsassistent bei der Deutschen Grammophon hatte er höchste Maßstäbe bei der Aufnahme klassischer Musik kennen gelernt. Die dort übliche Präzision und Konzentration begann er nun auch auf die improvisierte Musik zu übertragen.
Free at Last” lautete, durchaus programmatisch, der erste Titel des neuen Labels, ein Album mit Musik des Amerikaners Mal Waldron. Maßgebende Aufnahmen von Keith Jarrett, Jan Garbarek, Chick Corea, Paul Bley, Egberto Gismonti, Pat Metheny und anderen folgten und begründeten die Reputation von ECM. Auch Namen wie Meredith Monk und Steve Reich tauchten seit Ende der siebziger Jahre regelmäßig im Programm auf.
Manfred Eichers Begegnung mit der Musik Arvo Pärts war wegweisend für die weitere Entwicklung des Labels. “Tabula Rasa”, eine epochale Aufnahme, die den Komponisten weltweit bekannt machte, legte 1984 den Grundstein für die New Series – und für eine kreative Partnerschaft, die über Jahrzehnte anhält. Auch Giya Kancheli, Valentin Silvestrov und Tigran Mansurian wurden durch Veröffentlichungen bei ECM dem breiten Publikum im Westen vermittelt; seit Jahren veröffentlichen György Kurtág und Heinz Holliger wesentliche Teile ihres Œuvres bei dem Münchner Label. Interpreten wie das Hilliard Ensemble, Kim Kashkashian, Gidon Kremer, Anja Lechner, das Danish String Quartet, Thomas Zehetmair und András Schiff legen exemplarische Interpretationen der Klassiker vor und sorgen für aufregende Repertoire-Neuentdeckungen. Genre- und kulturübergreifende Projekte bilden einen Katalogschwerpunkt beider Reihen – von den Aufnahmen des “Codona”-Trios um 1980 über “Officium”, das Zusammentreffen zwischen Jan Garbarek und den Hilliards (1993), bis hin zu François Couturiers Tarkovsky-Quartett.
Form und Beständigkeit der komponierten Musik haben Einzug in die Improvisation gehalten; andererseits wird in den inspirierten Interpretationen komponierter Werke immer wieder ein Moment von Risiko, Spontaneität und improvisatorischer Freiheit spürbar. Paul Griffiths, der britische Musikschriftsteller, bringt dies auf den Punkt: “ECM ist zu einem ganz eigenen Genre geworden, einem Genre mit unscharfen Rändern, aber einer deutlich definierten Mitte. Angesiedelt an einem Ort, an dem Musik unabhängig von ihrer Herkunft geschätzt wird. In einer Zeit, in der noch keine endgültigen Festlegungen gelten, in der selbst eine Aufnahme – scheinbar Abschluss des kreativen Prozesses – ihren Wert darin erweist, dass sie eine Frage aufwirft, oder mehr als eine.”
Von Anfang an orientierte sich ECM am Modell der Autorenpflege literarischer Verlage. “Unsere Arbeit basiert auf dem Prinzip der Dauer”, hat Manfred Eicher einmal in einem Interview gesagt. Viele der Musiker, die Anfang der siebziger Jahre als Mittzwanziger ihre ersten Aufnahmen bei ECM vorlegten, sind dem Label bis heute verbunden. “Wichtig ist auch, dass sich Beziehungen zwischen den Künstlern des Verlages entwickeln, denn das kommt ihrem Schaffen zugute”, sagt Eicher. Als Recording Producer versteht er sich als Partner der Künstler, der von der Auswahl der Aufnahme-Orte, über die musikalische Formung des Albums bis hin zum Cover-Design federführend an allen Arbeitsprozessen beteiligt ist. Apropos Cover: Die ECM-Plattenhüllen, viel bewundert und viel kopiert, haben Design-Geschichte geschrieben. Zwei opulente Bände hat der Schweizer Lars Müller Verlag der Covergestaltung des Labels gewidmet.
Oft wird ECM mit einem klaren und obertonreichen Aufnahmeklang identifiziert. Dennoch gilt, dass ein pauschaler “ECM-Sound” so nicht existiert. Die Aufnahme richtet sich nach dem Aufzunehmenden, nicht umgekehrt. “Natürlich wenden wir auch technisch alle erdenkliche Sorgfalt auf”, sagt Manfred Eicher. “Das Entscheidende aber ist die Musik selbst sowie die ästhetische Vorstellung, die mit ihr verbunden ist. Und daraus ergeben sich jeweils die Charakteristika des Klangs.”

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