Das unabhängige Label ECM -Edition of Contemporary Music- wurde 1969 vom Produzenten Manfred Eicher gegründet, und hat mittlerweile mehr als 1700 Alben veröffentlicht.
Der besondere Anspruch des Kulturunternehmens fand früh Beachtung. 1972 berichtete der Spiegel erstmals über das Label eines 29-jährigen Münchner “Einzelgängers”, für das sich immer mehr prominente US-Musiker interessierten: Weil dort, so das Nachrichtenmagazin, die “derzeit besten Jazz-Aufnahmen” erschienen, “mustergültig in Klang, Präsenz und Pressung”. Zweieinhalb Jahre lag die Gründung der Firma damals zurück. Der in Lindau geborene Manfred Eicher hatte in Berlin Kontrabass studiert. Nachdem er früh seine Liebe zu Musikern wie Bill Evans, Paul Bley, Miles Davis und dessen Bassist Paul Chambers entdeckt hatte, beschäftigte er sich auch intensiv mit Jazz. Als Produktionsassistent bei der Deutschen Grammophon hatte er höchste Maßstäbe bei der Aufnahme klassischer Musik kennen gelernt. Die dort übliche Präzision und Konzentration begann er nun auch auf die improvisierte Musik zu übertragen.
“
Free at Last” lautete, durchaus programmatisch, der erste Titel des neuen Labels, ein Album mit Musik des Amerikaners
Mal Waldron. Maßgebende Aufnahmen von
Keith Jarrett,
Jan Garbarek,
Chick Corea,
Paul Bley,
Egberto Gismonti,
Pat Metheny und anderen folgten und begründeten die Reputation von ECM. Auch Namen wie
Meredith Monk und
Steve Reich tauchten seit Ende der siebziger Jahre regelmäßig im Programm auf.
Manfred Eichers Begegnung mit der Musik
Arvo Pärts war wegweisend für die weitere Entwicklung des Labels. “
Tabula Rasa”, eine epochale Aufnahme, die den Komponisten weltweit bekannt machte, legte 1984 den Grundstein für die
New Series – und für eine kreative Partnerschaft, die über Jahrzehnte anhält. Auch
Giya Kancheli,
Valentin Silvestrov und
Tigran Mansurian wurden durch Veröffentlichungen bei ECM dem breiten Publikum im Westen vermittelt; seit Jahren veröffentlichen
György Kurtág und
Heinz Holliger wesentliche Teile ihres Œuvres bei dem Münchner Label. Interpreten wie das
Hilliard Ensemble,
Kim Kashkashian,
Gidon Kremer,
Anja Lechner, das
Danish String Quartet,
Thomas Zehetmair und
András Schiff legen exemplarische Interpretationen der Klassiker vor und sorgen für aufregende Repertoire-Neuentdeckungen. Genre- und kulturübergreifende Projekte bilden einen Katalogschwerpunkt beider Reihen – von den Aufnahmen des “Codona”-Trios um 1980 über “
Officium”, das Zusammentreffen zwischen Jan Garbarek und den Hilliards (1993), bis hin zu François Couturiers
Tarkovsky-Quartett.
Form und Beständigkeit der komponierten Musik haben Einzug in die Improvisation gehalten; andererseits wird in den inspirierten Interpretationen komponierter Werke immer wieder ein Moment von Risiko, Spontaneität und improvisatorischer Freiheit spürbar. Paul Griffiths, der britische Musikschriftsteller, bringt dies auf den Punkt: “ECM ist zu einem ganz eigenen Genre geworden, einem Genre mit unscharfen Rändern, aber einer deutlich definierten Mitte. Angesiedelt an einem Ort, an dem Musik unabhängig von ihrer Herkunft geschätzt wird. In einer Zeit, in der noch keine endgültigen Festlegungen gelten, in der selbst eine Aufnahme – scheinbar Abschluss des kreativen Prozesses – ihren Wert darin erweist, dass sie eine Frage aufwirft, oder mehr als eine.”
Von Anfang an orientierte sich ECM am Modell der Autorenpflege literarischer Verlage. “Unsere Arbeit basiert auf dem Prinzip der Dauer”, hat Manfred Eicher einmal in einem Interview gesagt. Viele der Musiker, die Anfang der siebziger Jahre als Mittzwanziger ihre ersten Aufnahmen bei ECM vorlegten, sind dem Label bis heute verbunden. “Wichtig ist auch, dass sich Beziehungen zwischen den Künstlern des Verlages entwickeln, denn das kommt ihrem Schaffen zugute”, sagt Eicher. Als Recording Producer versteht er sich als Partner der Künstler, der von der Auswahl der Aufnahme-Orte, über die musikalische Formung des Albums bis hin zum Cover-Design federführend an allen Arbeitsprozessen beteiligt ist. Apropos Cover: Die ECM-Plattenhüllen, viel bewundert und viel kopiert, haben Design-Geschichte geschrieben. Zwei opulente Bände hat der Schweizer Lars Müller Verlag der Covergestaltung des Labels gewidmet.
Oft wird ECM mit einem klaren und obertonreichen Aufnahmeklang identifiziert. Dennoch gilt, dass ein pauschaler “ECM-Sound” so nicht existiert. Die Aufnahme richtet sich nach dem Aufzunehmenden, nicht umgekehrt. “Natürlich wenden wir auch technisch alle erdenkliche Sorgfalt auf”, sagt Manfred Eicher. “Das Entscheidende aber ist die Musik selbst sowie die ästhetische Vorstellung, die mit ihr verbunden ist. Und daraus ergeben sich jeweils die Charakteristika des Klangs.”