Ethan Iverson | News | Virtuos gespielte Bescheidenheit

Virtuos gespielte Bescheidenheit

Auf seinem zweiten Blue-Note-Album “Technically Acceptable” beackert der Pianist Ethan Iverson mit zwei unterschiedlichen Trios, einem Theremin-Virtuosen und als Solist ein sehr weites musikalisches Feld.
Ethan Iverson
Ethan Iverson(c) Keith Major
18.01.2024
“Mit Ethan Iverson am Klavier gerät jede Session zu einem Ausflug ins Unbekannte oder zumindest Unerwartete”, merkte Dave Gelly vor ein paar Jahren im britischen Observer an. “Er hat die Gabe, ziemlich unerhörte Ideen vollkommen logisch erscheinen zu lassen.” Und auf “Technically Acceptable”, seinem zweiten Album für Blue Note, präsentierte der Pianist nun gleich eine ganze Reihe “ziemlich unerhörter Ideen”. Iverson taucht hier kopfüber in die Fülle der musikalischen Einflüsse und Epochen ein, mit denen er sich in den zurückliegenden 30 Jahren als Pianist, Komponist, Lehrender und auch Kritiker intensiv beschäftigt hat. In gewisser Weise erhält man mit “Technically Acceptable” drei Alben in einem.
Das erste Drittel des Programms bestreitet Iverson mit einer Reihe neuer Originale, in denen er die Jazzgeschichte (vom Kansas City Jump Blues bis zur Chicagoer Avantgarde) zitiert, ihr dabei aber stets einen zeitgenössischen eigenen Dreh gibt. “Ich bin daran interessiert, diese fast schon archaischen Formen auf eine moderne Art und Weise zu interpretieren”, sagt er. Eingespielt hat er diesen Teil im Trio mit dem Bassisten Thomas Morgan und dem Schlagzeuger Kush Abadey, mit denen er das Album schon bald auch auf einer ausgedehnten Europa-Tournee vorstellen wird (das leider einzige Deutschland-Konzert findet am 2. Februar in der Münchener Unterfahrt statt).
Als Nächstes folgen einige Stücke mit drei Freunden, die Iverson in der Vergangenheit schon bei großen Projekten mit der Mark Morris Dance Group begleitet haben. Mit dem aus Chile stammenden Bassisten Simón Willson und Drummer Vinnie Sperrazza präsentiert er u.a. eine traumhafte, Bossa-Nova-artige Version des Roberta-Flack-Hits “Killing Me Softly With His Song”. Und im Duo mit dem Theremin-Virtuosen Rob Schwimmer gelingt ihm eine absolut faszinierende Interpretation des Thelonious-Monk-Klassikers “‘Round Midnight”.
Ausklingen lässt Iverson das Album als Solist mit seiner ersten Klaviersonate. “Drei Sätze, vollständig notiert, strukturiert wie Mozart oder Beethoven, aber geprägt von meinem gelebten Vokabular als Jazzmusiker des 21. Jahrhunderts.” Spätestens hier sollte jedem klar sein, dass Ethan Iverson weit mehr als nur ein “technisch akzeptabler” Pianist ist. Auch wenn er sagt, dass er sich auf einer Reise befindet, die er für noch nicht abgeschlossen hält. “Mein erstes Album hieß ‘School Work’”, erinnert er. “Vielleicht schaffe ich in weiteren zehn Jahren das Album ‘Flawless Masterpiece’. Im Moment bin ich ‘Technically Acceptable’.”