Julius Rodriguez | News | Modernist mit Sinn für Traditionen: ein raffinierter Sound-Tüftler, der manchmal vierhändig spielt

Modernist mit Sinn für Traditionen: ein raffinierter Sound-Tüftler, der manchmal vierhändig spielt

Mit “Let Sound Tell All” hat der erst 23-jährige Pianist und Schlagzeuger Julius Rodriguez ein erstaunlich selbstbewusstes Debütalbum aufgenommen.
Julius Rodriguez
Julius Rodriguez(c) Avery J. Savage
09.06.2022
Es ist schon keine geringe Kunst ein einzelnes Instrument virtuos zu spielen. Julius Rodriguez aber beherrscht mit seinen gerade einmal 23 Jahren gleich zwei ganz ausgezeichnet: Klavier und Schlagzeug. Auch wenn er sich auf “Let Sound Tell All”, seinem erstaunlich selbstbewussten Debütalbum für Verve, vorwiegend auf seine pianistischen Fähigkeiten konzentriert. Doch damit nicht genug: denn profilieren kann Julius sich zudem noch als Keyboarder, Komponist (sieben der neun Stücke von “Let Sound Tell All” stammen von ihm), Arrangeur und Bandleader. Um so bemerkenswerter ist, dass er sich trotzdem nicht permanent in den Vordergrund spielt, sondern seinen Mitstreitern – u.a. Trompeter Giveton Gelin, Saxofonist und E-Bassist Morgan Guerin (noch so ein virtuoser Doppelbegabter!), die Bassisten Ben Wolfe und Philip Norris sowie Jon Batistes Schlagzeuger Joe Saylor – reichlich Raum überlässt, seine Musik auf ihre eigene Weise zu gestalten und auszuschmücken.
Musikalisch bewegt sich Julius Rodriguez auf seinem Debüt äußerst gewandt zwischen den Polen der Jazztradition und moderner Black Music. Im kanadischen Radiosender JAZZ.FM91 bezeichnete Javon Anderson “Let Sound Tell All” als kühnes Statement darüber, wie die Zukunft des Jazz aussehen kann, und meinte: “Mit einer Mischung aus Gospel, Hip-Hop, Pop, Klassik und R&B sowie experimentellen Produktionstechniken hat Rodriguez die Vision seines Projekts in die Tat umgesetzt. Er macht aus seinen Einflüssen – darunter Thelonious Monk, John Coltrane, Solange, James Blake und Sampha - keinen Hehl und verflicht sie mit den Bausteinen seiner Experimente.”
Auf “Let Sound Tell All” lässt Julius Rodriguez alles einfließen, was er gelernt hat, seit er als Dreijähriger klassischen Klavierunterricht erhielt. Angefangen bei den Lektionen seiner ersten Mentorin Audrey McCallum, einer Freundin seiner Familie, die in Baltimore eine hoch angesehene Musikpädagogin ist. Über seinen frühen Erfahrungen als Kirchenmusiker und elfjähriger Sessionmusiker im berühmten Smalls Jazz Club in New York. Bis zu seinen Aufenthalten an der Jugendtalentschmiede der Manhattan School of Music und später der ebenso renommierten Juilliard School oder einem Sommerkurs bei Terri Lynne Carrington am Berklee College in Boston. Doch ihm wurde schnell klar, dass die eigentliche Schule für einen Musiker das Live-Spielen ist. Sei es in kleinen Jazzclubs oder in großen Arenen. Deshalb unterbrach er 2018 sein Studium an der Juilliard School, um mit den Musikern des Onyx Collective den Rapper A$AP Rocky auf einer Tournee zu begleiten.
Anfang 2019 nahm sein stilistischer Eklektizismus dann immer stärkere Form an: Er spielte Orgel für Me’shell Ndegeocello und das Hip-Hop-Produktionsduo Brasstracks; er war Pianist auf Carmen Lundys Grammy-nominiertem Gesangsalbum “Modern Ancestors”; er wirkte an Aufnahmen von anderen progressiven Eklektikern wie Morgan Guerin und Kassa Overall mit; er trat mit seiner eigenen Jazzband in den New Yorker Clubs auf und machte sich in der Black-Music-Szene einen Namen als “Orange Julius”.
Diesen Facettenreichtum präsentiert er nun auch auf “Let Sound Tell All”. Mal glänzt er dort, wie im Opener “Blues At The Barn”, im klassischen Jazztrio als bluesig-swingender Pianist wie ein moderner Oscar Peterson. Dann fungiert er als einfühlsamer Begleiter der Sängerin Mariah Cameron in Stevie WondersAll I Do”, dessen Arrangement an die ursprüngliche Motown-Version von Tammi Terrell aus dem Jahr 1966 angelehnt ist. Weitere Highlights sind das von Samara Joy gesungene Darlene-Andrews-Stück “In Heaven”, das durch Gregory Porter bekannt wurde, sowie die stimmungsvolle Single “Gift Of The Moon”, für die Trompeter Giveton Gelin drei übereinander gelegte Soli einspielte. Und dann ist da schließlich noch die ungemein explosive Nummer “Two Way Street”, die Julius als Schlagzeuger im Duo mit dem Saxofonisten Morgan Guerin beginnt, bevor sie in die wilde Session auch als Pianist bzw. E-Bassist einsteigen und das Duo so zum Quartett wird. Hervorragende Arbeit leistete auch der Produzent Drew Moore, der Julius Rodriguez vom Mischpult aus bei seinen kühnen Sound-Experimenten half.
“Meine Musik basiert auf Improvisation… aber sie wird auch von einer Menge anderer Dinge beeinflusst”, sagt Julius Rodriguez, der haitianische Wurzeln hat. “An einem Punkt nannte ich meine Kompositionen einmal ‘Jazz-Pop-Songs’ – es sind einfachere Melodien, kürzere Songs mit kompakteren Arrangements, aber wir spielen immer noch Soli und benutzen eine Jazzsprache. Es ist einfach Musik, die ich schreibe, die von all den Dingen beeinflusst wird, die um mich herum passieren. Zeitgenössische Instrumentalmusik. Aber es ist lustig, wenn man das sagt. Die Leute nehmen dann an, dass du irgendwelches ausgeflipptes, neoklassisches Zeugs spielst. Nein, du kannst auch auf eine simple Art und Weise improvisieren, so dass die Leute mitsingen und dazu tanzen können. Das ist genau das, was ich machen möchte.”