Roy Hargrove | News | Späte Geburt eines Meisterwerkes - unveröffentlichtes Roy-Hargrove-Album erschienen

Späte Geburt eines Meisterwerkes – unveröffentlichtes Roy-Hargrove-Album erschienen

Für das Album “Habana” erhielt Trompeter Roy Hargrove 1998 seinen ersten Grammy. Jetzt wird mit “Grande-Terre” eine zweite, bislang unbekannte Aufnahme dieses exzellenten Ensembles veröffentlicht.
Roy Hargrove
Roy Hargrove(c) Des McMahon
18.10.2024
Kaum ein anderer Jazzmusiker beherrschte in den 1990er Jahren die Schlagzeilen so sehr wie der Trompeter Roy Hargrove. In den Kritiker- und Leserumfragen der Jazzmagazine landete der Texaner regelmäßig auf den vorderen Plätzen. Das Nachrichtenmagazin Newsweek kürte ihn zum “heißesten Jazz-Trompeter der Welt”. Mit einer Reihe exzellenter Hard-Bop-, Bebop- und Balladen-Alben hatte sich Hargrove in der ersten Hälfte der 1990er Jahre den Ruf als neue Speerspitze der “Young Lions”, jener Hüter und Bewahrer des traditionellen Jazz, erworben. Dass in ihm weit mehr steckte als ein Neo-Traditionalist, bewies Roy Hargrove erstmals 1996, als er mit amerikanischen und kubanischen Musikern (darunter der Irakere-Pianist Chucho Valdés, Gonzalo Rubalcabas Schlagzeuger Horacio “El Negro” Hernandez, Perkussionisten der populären kubanischen Band Los Van Van und der kürzlich verstorbene Gitarrist Russell Malone) seine All-Star-Band Crisol gründete.
Das mit dieser aufregenden Formation aufgenommene Album “Habana” brachte Hargrove im Februar 1998 seinen ersten Grammy ein. Nur zwei Monate nach der Ehrung ging er mit Crisol in ein Studio auf der Karibikinsel Guadeloupe, um ein Nachfolgealbum aufzunehmen, das allerdings nie das Licht der Welt erblickte. Erst jetzt, sechs Jahre nach dem überraschenden und viel zu frühen Tod des Trompeters, der am 2. November 2018 im Alter von nur 49 Jahren einem Herzinfarkt erlag, erscheinen diese Aufnahmen unter dem Titel “Grande-Terre” bei Hargroves ehemaligem Label Verve
Ein zwölfköpfiges All-Star-Ensemble über einen längeren Zeitraum zusammenzuhalten, ist natürlich nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Diese Erfahrung musste auch Roy Hargrove machen, als die Aufnahmesessions für “Grande-Terre” anstanden. Denn von der ursprünglichen Besetzung von Crisol waren zu diesem Zeitpunkt neben dem Bandleader selbst nur noch drei Musiker dabei: der Posaunist Frank Lacy und die beiden Perkussionisten Miguel “Angá” Diaz und José Luis “Changuito” Quintana. Für die anderen Musiker, die wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht mehr dabei sein konnten, hatte der Trompeter jedoch gleichwertigen Ersatz gefunden: die Saxofonisten Sherman Irby und Jacques Schwarz-Bart, die Pianisten Gabriel Hernández und Larry Willis, den Gitarristen Ed Cherry, den Bassisten Gerald Cannon sowie die Schlagzeuger Julio Barreto und Willie Jones III.
Das Album zeigt Roy Hargrove – damals noch keine 30 Jahre alt – auf dem Zenit seines Könnens. Mal explodiert er förmlich vor Energie und Feuer auf der Trompete, mal intoniert er schmachtende Boleros und Rumbas auf dem Flügelhorn. Neben drei Eigenkompositionen von Hargrove (darunter der seiner kleinen Tochter gewidmete “Kamala’s Dance”) waren es vor allem Originale der neuen Bandmitglieder, die dem Programm Frische und Farbe verliehen. Abgerundet wurde das Repertoire durch eine Interpretation des Stücks “Afreaka”, das der Pianist Cedar Walton 1967 für den Trompeter Lee Morgan, eines der großen Vorbilder von Roy Hargrove, geschrieben hatte. Warum die großartigen Aufnahmen von “Grande-Terre” 26 Jahre lang in der Schublade vergessen wurden, wird wohl ein Rätsel bleiben. Umso schöner, dass sie nun, pünktlich zum 55. Geburtstag des verstorbenen Trompeters, endlich auf CD und Doppelvinyl das Jazzpublikum erreichen.
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