Die „Rhapsody in Blue“ sollte die amerikanische Musikgeschichte verändern. George Gershwins Gespür für außergewöhnliche Melodien mit jazzy Flair im symphonischen Kontext polte den Geschmack vieler Zeitgenossen um und trug deutlich dazu bei, dass die zuvor belächelte Musik zum beherrschenden Trend der dreißiger und vierziger Jahre avancierte. Denn als er das Stück schrieb, war der Jazz noch jung und wenig etabliert. Man merkte allerdings, dass in New Orleans und seit den Zwanzigern auch in anderen amerikanischen Großstädten etwas brodelte, das nach Veränderung klang. Beinahe ebenso schnell gab es Spürnasen, die versuchten, den Trend für die Hochkultur nutzbar zu machen. Eine davon war Paul Whiteman, ein Bratschist aus Denver und Leiter eines beliebten Tanzorchesters der zwanziger Jahre. Er lancierte den größten Kunstgriff seiner Karriere, als er 1923 dem jungen Arrangeur, Komponisten und Pianisten Gershwin, der zuvor vor allem an der New Yorker Schlagermeile Tin Pan Alley Erfolg gehabt hatte, den Auftrag für ein „Jazzkonzert“ gab.
Der Newcomer sah darin eine Chance, brachte das Stück in wenigen Wochen zu Papier und saß bei der Premiere am 12. Februar 1924 in der New Yorker Aeolian Hall sogar selbst am Klavier. Der Abend wurde eine Sensation. Nach dem überraschenden Erfolg der „Rhapsody in Blue“, verbesserte sich die Arbeitssituation Gershwins spürbar. So bekam er im Frühjahr des folgenden Jahres den Auftrag, für das New York Symphony Orchestra ein Klavierkonzert zu schreiben, das unter dem Titel „Concerto in F“ am 3. Dezember 1925 in der Carnegie Hall Premiere hatte. Als Workaholic mit schier unerschöpflichem Tatendrang, schrieb er in wenigen Jahren Hunderte von Kompositionen, von denen viele entweder als Standards im Great American Songbook oder als Konzertklassiker auf den klassischen Bühnen landeten. Und so konnten auch Stefano Bollani und Riccardo Chailly aus den Vollen schöpfen und in Leipzig einen genussvollen und umjubelten Gershwin-Abend gestalten.
Auf der einen Seite einer der versiertesten Jazz-Pianisten Europas mit immensem Witz und umfassendem gestalterischen Können, auf der anderen einer der großen Dirigenten seiner Generation und Chef des Gewandhausorchesters mit herausragendem Ensemble – da fand sich ein Team der Gleichgesinnten, die nicht nur die „Rhapsody“, sondern auch das „Concerto in F“, die „Catfish Row Symphony Suite“ und die selten gespielten „Rialto Ripples“ in vorbildlich inspirierter, referenzverdächtiger Form präsentierten. Denn hier trafen nicht nur herausragende Instrumentalisten und Könner ihres Fachs aufeinander, sondern zwei hintersinnige Humoristen, denen, wenn es die Situation erfordert, auch einmal der musikalische Schalk im Nacken sitzt. George Gershwins Musik jedenfalls tut das so gut, dass man meint, an diesem Abend in Leipzig hätte der Erfinder der Kompositionen selbst konzertiert. Mehr Kompliment kann man Stefano Bollani und Riccardo Chailly kaum machen.