Back To Black | News | Blue-Note-LPs: Mal diabolisch brillant, mal aufgeklärt cool

Blue-Note-LPs: Mal diabolisch brillant, mal aufgeklärt cool

Andrew Hill - Point Of Departure
Andrew Hill - Point Of Departure
31.07.2015
Letztes Jahr feierte das Blue-Note-Label sein 75. Jubiläum und startete aus diesem Anlass die Serie “Back To Blue”, in der 100 essentielle Alben auf Vinyl wiederveröffentlicht werden. Dabei wurde neben vielen Klassikern auch schon so manches in Vergessenheit geratene Jazz-Juwel wieder als LP verfügbar gemacht. In diese Kategorie gehören ganz sicher auch zwei der fünf Alben, die nun auf 180 Gramm schwerem, audiophilem Vinyl wieder aufgelegt werden: “Point Of Departure” von dem Pianisten Andrew Hill und “True Blue” von dem erstaunlichen Tenorsaxophonisten Tina Brooks. Etablierte Klassiker sind dagegen Jackie McLeansCapuchin Swing”, Joe HendersonsPage One” und Miles Davis' “Volume 1”.
Andrew Hill – Point Of Departure
“Kein leichter Cocktail-Jazz, dafür aber diabolisch brilliant.” So umschrieb All About Jazz die aufregende Musik des Albums “Point Of Departure”, das Pianist Andrew Hill 1964 mit einer All-Star-Band (Kenny Dorham, Eric Dolphy, Joe Henderson, Richard Davis & Tony Williams) für Blue Note aufgenommen hatte. Als Jugendlicher war Hill zwei Jahre lang Schüler des deutschen Neue-Musik-Komponisten Paul Hindemith gewesen, was seinen musikalischen Horizont schon früh immens erweiterte. In den komplexen Kompositionen für sein Album-Meisterwerk kombinierte er auf ganz eigene Art Elemente von Jazz, Blues, Gospel und klassischer Musik.
Miles Davis – Volume 1
Nachdem Miles Davis 1955 die DownBeat Readers Poll als bester Trompeter gewonnen hatte, veröffentlichte Blue Note auf der Compilation “Volume 1” die frühen Soloaufnahmen wieder, die Miles 1952 und 1953 bei zwei Sessions für das Label eingespielt hatte. Während er sich bei der ersten Session noch in gefälligen Mainstream-Gefilden tummelte, spielte er bei der zweiten, wie Davis-Biograph Peter Wießmüller einst notierte, “Bebop im aufgeklärten Bewusstsein ‘cooler Formgestaltung’.” Begleitet wurde der Trompeter einmal von Posaunist J.J. Johnson, Altsaxophonist Jackie McLean, Pianist Gil Coggins, Bassist Oscar Pettiford und Schlagzeuger Kenny Clarke, dann wiederum von J.J. Johnson, Gil Coggins, Tenorsaxophonist Jimmy Heath, Bassist Percy Heath und Drummer Art Blakey.
Joe Henderson – Page One
Mit seinem treffend betitelten Debütalbum “Page One” schlug der damals 26-jährige Joe Henderson die erste Seite seiner illustren Solokarriere auf. Und vom Start weg beeindruckte der Tenorsaxophonist mit einer ungewöhnlichen stilistischen Flexibilität. Auf “Page One” mischte er munter Hard-Bop und Bebop mit Elementen von Rhythm’n'Blues und Bossa Nova. Neben vier Eigenkompositionen (darunter der Bossa-Klassiker “Recorda Me”) spielte er auch zwei Nummern aus der Feder des an der Session beteiligten Trompeters Kenny Dorham ein: “Blue Bossa” und “La Mesha”. Begleitet wurden Henderson und Dorham von einer feinen Rhythmusgruppe, bestehend aus Pianist McCoy Tyner, Bassist Butch Warren und Schlagzeuger Pete La Roca.
Jackie McLean – Capuchin Swing
Stillstand war ein Wort, das im musikalischen Vokabular von Jackie McLean nie vorhanden war. Der Altsaxophonist, der für seinen bitter-süßen, bluesigen Sound bekannt war, stand allen neuen Entwicklungen im Jazz stets aufgeschlossen gegenüber. Er begann seine Karriere als Bebopper, wechselte dann ins Lager der Hard-Bopper, bevor er zum modalen Jazz fand. Als er 1960 sein drittes Blue-Note-Album “Capuchin Swing” aufnahm, faszinierten ihn gerade die avantgardistischen Innovationen Ornette Colemans. Und so ließ er diese Neuerungen in sein eigenes Spiel einfließen, obwohl der Großteil des Materials eigentlich klassischer Hard-Bop war. Begleitet wurde McLean bei dieser spannenden Session von Trompeter Blue Mitchell, Pianist Walter Bishop Jr., Bassist Paul Chambers und Drummer Art Taylor.
Tina Brooks – True Blue
Tina Brooks?!? Der Name des Tenorsaxophonisten, der eigentlich Harold Floyd Brooks (1932–1974) hieß, dürfte selbst vielen Jazzkennern ein großes Fragezeichen auf die Stirn zaubern. Das liegt vor allem daran, dass Brooks lediglich fünf Alben unter eigenem Namen eingespielt hat (eines davon zusammen mit Jackie McLean). “True Blue” war das einzige, das zu seinen Lebzeiten erschien. Mit Trompeter Freddie Hubbard, Pianist Duke Jordan, Bassist Sam Jones und Drummer Art Taylor lief der lyrische Hardbopper, der hier fast ausschließlich eigene Stücke spielte, zu Höchstform auf. Um so trauriger ist es, dass er nach 1961 nie mehr ein Tonstudio betrat.