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Auf Béla Bartóks Spuren, aber mit eigenen Ansätzen

Zehn Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Album für ECM melden sich der rumänische Pianist Lucian Ban und der New Yorker Bratschist Mat Maneri mit ihrer zweiten Duo-Aufnahme “Transylvanian Dance” zurück. 
Mat Maneri Lucian Ban ECM 2824
Mat Maneri Lucian Ban ECM 2824
28.08.2024
“Die bäuerliche Musik muss im strengen Sinne des Wortes als ein natürliches Phänomen betrachtet werden; die Formen, in denen sie sich manifestiert, sind der instinktiven Umwandlungskraft einer Gemeinschaft zu verdanken, der es gänzlich an Gelehrsamkeit fehlt. (…) Dementsprechend besitzt es in seinen einzelnen Teilen eine absolute künstlerische Vollkommenheit, eine Vollkommenheit in Miniaturformen, die – so könnte man sagen – der Vollkommenheit eines musikalischen Meisterwerks größten Ausmaßes gleichkommt” (Béla Bartók in “Das Verhältnis des Volksliedes zur Entwicklung der Kunstmusik unserer Zeit”, 1921).
Ausgangspunkt sind diesmal Transkriptionen von Volks- und Tanzliedern, die Béla Bartók vor einem Jahrhundert in Dörfern des Banats und Transsilvaniens zusammengetragen hat. Lucian Ban und Mat Maneri dienen diese Stücke als “Sprungbretter und melodisches Quellenmaterial” für Aufführungen, “die den Geist der Originale einfangen und uns dennoch erlauben, zu improvisieren und unsere eigene Welt in sie einzubringen…” “In unserem Prozess”, fährt Lucian Ban fort, “haben wir keinerlei vorgefassten Meinungen darüber, wie wir diese Lieder arrangieren sollten. Bei einigen verfolgen wir einen sehr improvisatorischen Ansatz. Andere sind kompositorisch und harmonisch stärker definiert. Und bei manchen kombinieren wir das volksmusikalische Material mit unseren eigenen Motiven. Wenn man tiefer in das Quellenmaterial eindringt, eröffnen sich neue Perspektiven.”
Das Album wurde im Oktober 2022 im Rahmen des Projekts “Retracing Bartók” in Timişoara live aufgezeichnet und zeugt auch von dem fein abgestimmten Verständnis, das Ban und Maneri in ihrer langjährigen musikalischen Partnerschaft erreicht haben. 
Die erste Zusammenarbeit zwischen dem in Rumänien geborenen Pianisten und dem aus Brooklyn/New York stammenden Bratschisten ergab sich 2009 beim George Enescu Festival in Bukarest. Ban war von den Veranstaltern eingeladen worden, Enescus Musik mit einer Gruppe von Jazzmusikern neu zu interpretieren. Maneris spezieller Background – gleichermaßen geprägt von klassischer und zeitgenössischer Musik als auch Improvisation – machte ihn zu einem idealen Partner für dieses Projekt. Ein Duo-Album, “Transylvanian Concert” (aufgenommen 2011 im Kulturpalast von Târgu Mureş/Rumänien und 2013 von ECM veröffentlicht), ließ nicht lange auf sich warten. Seither haben Ban und Maneri bei einer ganze Reihe von Projekten zusammengearbeitet und oft in den Bands des jeweils anderen mitgespielt.
Die Entwicklung der Musik auf Basis von Bartóks Transkriptionen der transsilvanischen Volksmusik ist in den letzten paar Jahren zu einer Priorität geworden. Beide Musiker finden in dem Material neue Freiheiten.
In seinen musikethnologischen Schriften hatte Bartók die Feststellung gemacht, dass es ein “Bindegewebe” gibt, das die Musiken der Welt miteinander verknüpft. Auf dem nun vorliegenden neuen Album geht Mat Maneri auf diese Erkenntnis ein, indem er auf subtile Weise Einflüsse aus arabischer, westafrikanischer und koreanischer Musik sowie aus den sehr unterschiedlichen volkstümlichen Quellen Transsilvaniens aufgreift und in seinem einzigartig fluiden Bratschenspiel reflektiert.
Lucian Ban war 1999 aus seiner Heimat Rumänien in die USA gezogen, um der Jazzwelt, die ihn schon seit langem inspiriert hatte, näher zu sein. Allerdings griff er in der jüngeren Vergangenheit in seinem Werk wieder auf frühere Erinnerungen zurück. Aufgewachsen war Ban in der ländlichen transsilvanischen Gemeinde Teaca mit der traditionellen Volksmusik, die dort in den Dörfern gespielt wird. Auf “Transsylvaian Dance” kommen diese musikalischen Erinnerungen zum Vorschein. Aber der “Jazz” ist natürlich nie weit entfernt. In “The Boyar’s Doina” lässt sich das Duo beispielsweise auch von Duke Ellingtons “Fleurette Africaine” inspirieren und erkundet Verbindungen zwischen der rumänischen Doină und dem Blues…
Die erste Aufnahme für ECM machte Mat Maneri vor annähernd dreißig Jahren an der Seite seines Vaters, dem dem Saxophonisten, Klarinettisten, Improvisator, Komponisten und Klangpoeten Joe Maneri. Auf “Three Men Walking” von 1995 folgten als weitere Einspielungen mit Joe Maneri noch “In Full Circle” und das Duo-Album “Blessed” (1997). Auf “Tales Of Rohnlief” (1998) und “Angels Of Repose” (2004) arbeitete das Vater-Sohn-Gespann mit dem Bassisten Barre Phillips zusammen. Zu hören ist Mat Maneri außerdem auf diversen ECM-Alben von Robin Williamson sowie mit Ches Smith und Craig Taborn auf “The Bell”, (2016). Und mit “Trinity” (2001) nahm er auch ein eigenes Solo-Violin-Album für ECM auf.