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Cymin Samawatie & Ketan Bhatti mit dem Trickster Orchestra – auf der Suche nach einer kollektiven musikalischen Sprache

Ketan Bhatti, Cymin Samawatie
Ketan Bhatti, Cymin SamawatieSilke Weinsheimer / ECM Records
22.04.2021
Die iranisch-deutsche Sängerin Cymin Samawatie und den indisch-deutschen Schlagzeuger und Perkussionisten Ketan Bhatti kennt man bislang vor allem durch ihre gemeinsame Arbeit in der Band Cyminology. Nun haben sie ihre poetische Musiksprache mit dem Trickster Orchestra in ein größeres Format übertragen. Unter ihrer künstlerischen Leitung interpretiert das 23-köpfige Orchester ihre charakterische Mischung von transkultureller zeitgenössischer Musik. Cymin lässt sich von alter wie moderner Lyrik inspirieren, von Psalmen ebenso wie von Texten der Sufi-Dichter Rumi und Hafis. Dabei singt sie nicht nur in ihrer Muttersprache Farsi, sondern auch auf Hebräisch, Türkisch und Arabisch. Mit der Erweiterung der Instrumentierung geht hier auch eine Erweiterung der Dynamik, Texturen und Farben einher.
Das Trickster Orchestra stellt für Cymin Samawatie und Ketan Bhatti die erste Zusammenarbeit außerhalb von ihrer Berliner Band Cyminology dar, mit der sie seit 2009 die drei Alben “Ney”, "Saburi " und “Phoenix” bei ECM vorgelegt haben, die allesamt für ihren kulturübergreifenden Ansatz gelobt wurden. Im Programm des neuen Albums vergrößern sie ihren musikalischen Wirkungsbereich mit dem Trickster Orchestra. “Bei der Arbeit mit diesem Orchester treten Ketan und ich aus unserer musikalischen Komfortzone heraus und erfinden uns neu”, sagt Cymin, “wir schlagen neue Pfade ein, die wir erst noch entdecken müssen.”
2013 von Cymin und Ketan gegründet, entstand das Trickster Orchestra bei einer Zusammenarbeit im Rahmen des Education-Programms der Berliner Philharmoniker. Es entwickelte sich bald zu einem dauerhaften Ventil für die facettenreiche Musik der Sängerin und des Schlagzeugers, aber auch für experimentellere Kompositionsformen – wobei zudem Einflüsse aus der zeitgenössischen klassischen Musik einbezogen wurden. “Was dieses Orchester wirklich von anderen Projekten unterscheidet und so besonders macht”, erläutert Cymin, “ist, dass es aus sehr starken und individuellen Persönlichkeiten besteht, die ein jeder für sich Großes erreicht haben. Für dieses Projekt treten sie aus ihrer individuellen musikalischen Blase heraus und schließen sich zusammen, um eine neue, kollektive musikalische Welt zu erschaffen.” Zu den Musikern des Orchesters gehören u.a. die Koto-Virtuosin Naoko Kikuchi, die auf das klassische und zeitgenössische Erbe ihres Instruments zurückgreift und dessen Bandbreite erweitert; Susanne Fröhlich, die die gesamte Blockflötenfamilie beherrscht und eine Brücke zwischen alter und neuer europäischer Musik schlägt; der Bratischst Martin Stegner, der Mitglied der Berliner Philharmoniker ist und auf dem letzten Cyminology-Album “Phoenix” zu hören war; die Klarinettistin Mona Matbou Riahi, die mit dem Gitarristen Golfam Khayam als Naqsh Duo das Album “Narrante” für ECM aufgenommen hat; und der preisgekrönte Virtuose Wu Wei, der die traditionelle chinesische Mundorgel Sheng spielt. Sie alle sind ein wichtiger Bestandteil des Orchesters, stellen aber nur einen Bruchteil der vorhandenen Talente dar.
Die Instrumentierung des Albums – die von der arabischen Rohrflöte Nay über das zitherartige orientalische Kanun bis hin zu elektronischen Verfremdungsgeräten reicht – erweitert das Ausdrucksspektrum von Cymin und Ketan sowie die strukturelle Tiefe ihrer Arrangements erheblich. Ketan weist darauf hin, dass die Frage “Wie schaffen wir eine kollektive musikalische Sprache?” in den Mittelpunkt rückt, wenn man in einem so vielfältigen Umfeld arbeitet. “Wir haben eine solche Vielfalt an musikalischen Systemen und Konventionen unter einem Dach versammelt – es gibt Leute, die Noten lesen, und andere, die das nicht tun, und dann ist da auch noch die schlichte Tatsache, dass Instrumente unterschiedlich gestimmt sind. Bei dem Versuch, zusammenzuarbeiten, lassen wir uns automatisch zu einem Akt der Nachahmung verleiten, oder genauer gesagt, wir beginnen einen mimetischen Prozess. Während wir versuchen, die jeweiligen Traditionen der anderen zu verstehen und zu übersetzen, schaffen wir etwas Neues.”
Ein umjubelter Auftritt beim Jazzfest Berlin 2015 gab dem Orchester enormen Auftrieb. Seitdem initiiert es immer neue eigene Projekte wie etwa “Modara”, das orchestereigene Festival für zeitgenössische Musik, das kulturelle Transformation feiert. Das Konzept ergab sich aus der Lektüre der Werke des Dichters Jalaluddin Rumi aus dem 13. Jahrhundert. “Modara” bezieht sich auf einen Ort der intensiven Begegnung und der Auflösung des Selbst in etwas völlig Neues. Oder um es in Rumis eigenen Worten auszudrücken: “Jenseits der Vorstellungen von falschem und richtigem Tun gibt es Modara. Ich werde dich dort treffen.”
Da diese Idee Cymin stark anspricht, hat sie einer der Kompositionen des Albums auch den Titel “Modara” gegeben. Indem sie Rumis Worte auf Farsi rezitiert, vermittelt Cymin eine Friedensbotschaft: “Jenseits von Religion (Islam) oder Untreue gibt es eine Wüstenebene. / Für uns gibt es eine Leidenschaft in der Mitte dieser Weite.” Andere Texte sind unmittelbar vom Koran inspirierte Gedichte sowie Lesungen aus der hebräischen Bibel und ein Poem des zeitgenössischen türkischen Dichters Efe Duyan, der sich in seinen Texten mit aktuellen sozialen und politischen Themen auseinandersetzt. Cymin führt aus, dass die Integration eines erweiterten Repertoires an Sprachen ein bewusster Schritt ihrerseits ist: “Im direkten Gegensatz zu meiner Arbeit mit Cyminology – wo die persischen Texte eine zentrale Rolle spielen – war es mir bei ‘Trickster Orchestra’ wichtig, dass die Texte die trans-traditionelle Besetzung des Orchesters widerspiegeln.”
“Por se ssedaa”, ein Stück, das bereits auf Cyminologys ECM-Debüt “As Ney” zu hören war, erscheint in neuem Gewand, beflügelt durch den orchestralen Rahmen und ungebunden von den Instrumenten. Titel und Text basieren auf Gedichten des persischen Dichters Hafis aus dem 14. Jahrhundert, dessen wichtigstes Werk “Der Diwan” Goethe zu seinem Gedichtzyklus “West-östlicher Divan” inspirierte. Hafis' Kontemplationen über einen Weg, auf dem sich Liebe, Leidenschaft und Musik kreuzen, hallen in Cymins geerdeter und doch flexibler Altstimme auf eine Weise wider, die die tiefe Resonanz der Worte bei der Sängerin offenbart.
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