ECM Sounds | News | Ein von poetischer Empfindsamkeit durchdrungenes kammermusikalisches Meisterwerk

Ein von poetischer Empfindsamkeit durchdrungenes kammermusikalisches Meisterwerk

Fast drei Jahrzehnte nach der Aufnahme des Albums “Poros” melden sich der Pianist François Couturier und der Geiger Dominique Pifarély auf “Preludes And Songs” mit einer Neubewertung und Neuausrichtung ihrer Duoarbeit zurück.
François Couturier, Dominique Pifarély
François Couturier, Dominique Pifarély(c) Jean-Baptiste Millot
22.01.2025
Der Pianist François Couturier und der Geiger Dominique Pifarély gehören schon seit langem zu den prägenden Figuren der französischen Improvisationsszene. Auf “Preludes And Songs”, einem Album voller einfühlsamer Interaktionen, improvisatorischem Flair und breitgefächerten künstlerischer Referenzen, erneuern sie ihre ihre besondere musikalische Verbundenheit. Fast drei Jahrzehnte sind vergangen, seit sie ihr erstes Duo-Album “Poros” für ECM aufgenommen haben. Auch wenn sie in der Zwischenzeit noch  einige musikalische Abenteuer gemeinsam erlebt haben, stellen die Aufnahmen für “Preludes And Songs” doch eine Neubewertung und Neuausrichtung ihrer Duoarbeit dar. “Die Idee war nicht, dorthin zurückzukehren, wo wir damals aufgehört hatten”, erklärt Dominique Pifarély, “sondern von dem Punkt auszugehen, den jeder von uns während dieser langen Pause erreicht hatte. Da wir in der Zwischenzeit unterschiedliche Ideen und Formen entwickelt hatten, mussten wir wirklich auf die musikalische Persönlichkeit des anderen achten. Wir wollten unbedingt den Werdegang des anderen respektieren und einen Weg zueinander finden.”
Preludes And Songs” erzählt die Geschichte der beiden Musiker weiter. Das Programm enthält sowohl Eigenkompositionen von Couturier und Pifarély als auch einige Jazzstandards. Duke EllingtonsSolitude”, J.J. JohnsonsLament”, George GershwinsI Loves You Porgy” und Manning Sherwins A Nightingale Sang In Berkeley Square” werden in diesen Interpretationen ebenso verwandelt und befreit wie Jacques Brels La chanson des vieux amants”. “Wir betrachten diesen Song von Brel auch als einen ‘Standard’ – in französischsprachigen Ländern ist er das sicher und vielleicht auch ein wenig im Ausland – selbst wenn er nicht oft von Jazzmusikern gespielt wird.” Auch wenn die Improvisation einer der Wege ist, auf denen Pifarély und Couturier dorthin gelangt sind, wo sie heute stehen, so ist doch alles, was das Duo spielt, geprägt von ihrem Gespür für die Idiome des Jazz, der Klassik und der Neuen Musik: Sie gleiten leicht und nahtlos zwischen ihnen hin und her. (Und nebenbei bemerkt: Auch Ellington, Gershwin und J.J. Johnson wollten sich nicht auf ein Genre festlegen lassen.)
Das Album beginnt mit François Couturiers “Le surcroît I”, dessen Titel einer Gedichtsammlung von André du Bouchet entlehnt ist. Couturier schrieb dieses Stück 2004 ursprünglich für ein abenteuerliches Projekt mit Pifarély und dem Countertenor Dominique Visse. Pifarélys “What Us” integriert und adaptiert Material aus einer für dasselbe Projekt entstandenen Vertonung des Gedichts “Lichtzwang”, in dem der Lyriker Paul Celan über das reflektierte, “was uns zusammenwarf”.
Poetische Empfindsamkeit durchdringt in der Tat einen Großteil der Stücke von “Preludes And Songs”. Doch nicht alle Anspielungen sind literarischer Natur. “Song For Harrison” zum Beispiel entpuppt sich als besinnliches Porträt von François Couturiers Hund, “einem bezaubernden Cockerspaniel”. Hier unterbricht Harrison schließlich Ellingtons “Solitude” und vertreibt so vielleicht die Verzweiflung des Duke…
Pifarélys “Vague”, mit Unterströmungen und schwankendem Puls wie das Wiegen des Meeres, erschien bereits 2016 in einer erweiterten Quartettfassung auf dem ECM-Album “Tracé provisoire”. Zum Repertoire dieses Quartetts gehört auch Dominiques dunkel getönte Komposition “Les ombres”, die er 2021 auf dem Album “Nocturnes” (Clean Feed) vorstellte. “Ich mag es, verschiedene Versionen eines Stücks aufzunehmen”, sagt der Geiger, “Ich denke, dass man einen Stück nicht aufgeben  sollte, wenn man es einmal aufgenommen hat.” Es eröffnen sich einem immer wieder neue Perspektiven, nicht zuletzt wenn man in einem klangvollen akustischen Raum wie dem Historischen Reitstadel in Neumarkt in der Oberpfalz aufnimmt, der als Konzerthaust für klassische Musik bekannt ist. Für “Preludes And Songs” wurde dort jede strukturelle Nuance originalgetreu eingefangen. “Wir wollen den Klangreichtum unserer Instrumente wirklich ausreizen. Bei Konzerten spielen wir normalerweise ohne PA, deshalb bevorzugen wir  einen natürlich klingenden Raum.”
Auf dem Album “Poros” traten François Couturier und Dominique Pifarély 1997 das erste Mal gemeinsam bei ECM Records in Erscheinung. Die Verbindung zwischen den beiden reicht jedoch viel weiter zurück. Denn zum ersten Mal zusammengespielt hatten sie Anfang der 1980er Jahre in der Band Swing String System des Bassisten Didier Levallet. Vierzig Jahre später bewundert Levallet noch immer die “subtile Alchemie”, die das Zusammenspiel von Pifarély und Couturier beseelt, und ihren, wie er es ausdrückt, “progressiven, respektvollen und sinnlichen” Umgang mit Melodien.
Nachdem sie sich in Levallets Band kennengelernt hatten, spielten der Geiger und der Pianist regelmäßig in den Gruppen des jeweils anderen. Als 1993 Pifarélys Album “Oblique” (IDA Records)  erschien, war unschwer zu erkennen, “dass der Kern dieses Werkes die Achse Klavier-Geige war, und so begannen wir, als Duo zu arbeiten”.
François Couturiers ECM-Diskografie umfasst das Solo-Klavier-Album “Un jour si blanc”, drei Alben mit dem Tarkovsky Quartett, dessen Leiter und Komponist er ist, zwei Duo-Alben mit der Cellistin Anja Lechner (“Moderato Cantabile” und “Lontano”), ein Gemeinschaftsprojekt mit Maria Pia De Vito, Anja Lechner und Michele Rabbia, das unter dem Titel “Il Pergolese” erschien, sowie vier Alben mit Anouar Brahem.
Zu Dominique Pifarélys Aufnahmen bei ECM gehören das Solo-Recital “Time Before And Time After” und das bereits erwähnte Quartett-Album “Tracé provisoire”.  Darüber hinaus tritt er auch als Co-Leader des Louis Sclavis-Dominique Pifarély Acoustic Quartet sowie des Trios Sclavis/Pifarély/Courtois (auf “Asian Fields Variations”) in Erscheinung und auf drei weiteren Alben mit Sclavis zu hören.
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