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Gefrorene Stille in warme Töne verwandelt

Auf seinem dritten ECM-Album “Frozen Silence” nehmen der Altsaxophonist Maciej Obara und sein Quartett den Hörer auf einen atmosphärischen Trip in das polnische Riesengebirge mit.
Maciej Obara Quartet
Maciej Obara Quartet
07.09.2023
Mit seinen ersten beiden ECM- Alben “Unloved” (2017) und “Three Crowns” (2019) konnte das polnisch-norwegische Quartett des Altsaxophonisten Maciej Obara seinen Ruf festigen, eine der originellsten europäischen Bands der Gegenwart zu sein. Auf seinem nunmehr dritten und wohl möglich bislang besten ECM-Album "Frozen Silence" spinnt das Ensemble die Geschichten der beiden Vorgängeralben weiter. Im Vordergrund steht dabei erneut das kreative Gespür des Quartetts für musikalische Interaktion.
Obaras neue Kompositionen bringen seine intuitive musikalische Beziehung zu Dominik Wania optimal zur Geltung, während Ole Morten Vågan und Gard Nilssen immer wieder über die typischen Rollen in einer Rhythmusgruppe hinausgehen und überzeugend mit dem Saxophonisten und dem Pianisten interagieren.
Hellwache Interaktivität ist das Markenzeichen der Band. Das neue Repertoire wurde von Maciej allerdings in Abgeschiedenheit geformt (einzige Ausnahme ist das Stück “Rainbow Leaves”, das er zusammen mit dem Pianisten Nikola Kołodziejczyk komponiert hat). Als die Corona-Pandemie zur Schließung der polnischen Jazzclubs führte und auch internationale Tourneen unmöglich machte, verließ er Warschau, um alleine durch Berge und Wälder zu streifen. Die hier zu hörenden Kompositionen sind Träumereien des einsamen Wanderers: direkte Reaktionen auf die Natur, insbesondere auf die absolut dramatischen Landschaften des Riesengebirges (polnisch: Karkonosze) im Südwesten Polens, wo Maciejs Familie ihre Wurzeln hat. Die englischen Titel der Lieder verweisen auf einige Orte, die für ihn eine besondere Bedeutung haben: “Black Cauldron” (polnisch: Czarny kociołjagniątkowski/deutsch: Agnetendorfer Schneegrube oder auch Schwarze Schneegrube), “High Stone” (Wysoki kamień/Hochstein) und “Dry Mountain” (Sucha Góra/Trockenberg).
Der zerklüftete Umriss des balladesken “High Stone” suggeriert sowohl einen Aufstieg als auch einen Ausblick auf das Gebiet. Während das sich ständig ändernde Winterlicht und die “gefrorene Stille” der schneebedeckten Gipfel eine Reihe von Inspirationen lieferten, haben sich auch ein paar subtile musikalische Einflüsse eingeschlichen. “In dieser Zeit hatte ich viel Musik von meinem Lieblingstrompeter Bill Dixon gehört, die zu der Leere und Stille der Berge zu passen schien.
Und ich denke, dass man kann Dixons Einfluss in Stücken wie ‘Black Cauldron’ oder ‘Flying Pixies’ hören kann.” Der letztgenannte Titel bezieht sich, wie er sagt, auf die flackernden Reflexionen des Sonnenlichts auf gehärtetem Schnee.
Zwei Titel fallen aus dem konzeptionellen Rahmen der luftigen Atmosphären heraus. “Waves Of Glyma” verlagert den geografischen Schwerpunkt von den Bergen Polens zu den Stränden im Süden Kretas, mit lebhaften Erinnerungen an blaues Wasser und rote Sandsteinklippen.
“Rainbow Leaves” wiederum wurde ursprünglich als Ergänzung zu Maciejs Concerto für Saxophon, Klavier und Kammerorchester geschrieben. Für die polnische Uraufführung des bedeutenden Werks mit Dominik Wania und dem AUKSO-Orchester hatte Nikola Kołodziejczyk, der hier als Ko-Autor genannt wird, die Streicherarrangement beigesteuert. Die Quartettfassung führt die Musik charakteristischerweise an neue Orte und folgt Maciejs Saxophon, das abwechselnd nachdenklich und leidenschaftlich ist.
Hervorgegangen ist das Quartett aus dem Quintett Obara Internasjonal, dem noch der britische Trompeter Tom Arthurs angehört hatte. Die Kernbesetzung mit den beiden Polen Maciej Obara und Dominik Wania und den beiden Norwegern Ole Morten Vågan und Gard Nilssen hat nun schon seit elf Jahren Bestand. Es sind vier sehr individuelle Musiker, die alle selbst Bandleader sind sowie eigene Projekte unterhalten und deren kontrastierende, aber komplementäre Stile den Charakter der Gruppe bestimmen.
Dominik Wania, der auf “Frozen Silence” eine bedeutende Rolle spielt, wird zunehmend als einer der herausragenden Improvisatoren seiner Generation anerkannt. “Wir waren von Anfang an sehr gute Freunde”, erzählt Obara, “aber jetzt habe ich das Gefühl, dass seine Arbeit an seinem Soloalbum [”Lonely Shadows" von 2020] uns auch geholfen hat, die Musik und seinen Beitrag zu dieser Band weiterzuentwickeln. Der klassische Ansatz in seinem Solospiel hat sich im Rahmen des Quartetts noch weiter geöffnet. Ich spreche nicht von einem einzelnen Stil, sondern von der Art und Weise, wie er wirklich in jedem Moment auf die Dynamik achtet und sich auf die winzigen Details konzentriert, die Musik besser machen."
Schlagzeuger Gard Nilssen hat mit der letztjährigen Veröffentlichung seines ersten eigenen ECM-Albums “Elastic Wave” auch deutlich an Profil gewonnen. “Die Art und Weise wie Gard sein Schlagzeug spielt, die Klänge, die er ihm entlockt, und sein fließendes Gespür für Zeit sind fantastisch, und die Kombination mit Ole Morten im Quartett ist etwas ganz Besonderes. Ole Morten hat durch seine jahrelange Leitung des Trondheim Jazz Orchestra so viel Erfahrung. Und wie er ein lyrisches Gespür für Melodien mit klassischem Formbewusstsein und dem gleichzeitigen Bekenntnis zum freien Spiel verbindet – das ist eine seltene Kombination.”
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