Dieses “kurze Tagebuch (eines Verlusts)”, wie es der Schlagzeuger Sebastian Rochford nennt, ist gedacht als “eine akustische Erinnerung, die mit Liebe und aus dem Bedürfnis nach Trost geschaffen wurde”. Gewidmet hat Rochford dieses Album seinem Vater, dem Aberdeener Dichter Gerard Rochford (1932–2019), und seiner Familie. Seb, eines von zehn Geschwistern, schrieb den Großteil der Musik kurz nach Gerards Tod und trägt sie hier zusammen mit dem Pianisten Kit Downes in Aufführungen vor, die von tiefem Gefühl und hymnenähnlicher Klarheit geprägt sind. Das letzte wehmütige Stück des Albums, “Even Now I Think Of Her”, wurde von Gerard Rochford komponiert. “Es ist eine Melodie, die mein Vater in sein Smartphone gesungen und mir zugeschickt hat”, erläutert Sebastian. “Ich habe die Aufnahme an Kit weitergeleitet. Er hat sie sich angehört, und dann haben wir losgelegt.”
Rochford erinnert sich, wie nach dem Tod seines Vaters “die Musik mir einfach zuzufliegen schien, jeden Tag in mir sang, manchmal sogar, wenn ich gerade aufwachte. Obwohl ich anfangs mit dem Schreiben haderte und es gar nicht wollte, löste es in mir nach und nach ein tröstliches Gefühl aus und gab mir auch die Möglichkeit, körperlich zu spüren, was ich fühlte. So wurde es auf eine musikalische Art und Weise zu meinem Tagebuch über diese Zeit.” Was Tagebücher betrifft, so mag dies ein stilles, nachdenkliches sein; es ist jedoch auch gefüllt mit bemerkenswerten melodischen Themen und ergreifenden Akkordfolgen, reich an Nuancen, unterschiedlichen Klangschattierungen und Timbres, intoniert mit einem simplen Flügel und einem auf das Notwendigste reduzierten Schlagzeugset.
Aufgenommen wurde das Album in dem Haus in Schottland, in dem Sebastian Rochford seine Kindheit verbrachte – seine intime Akustik wurde umfassend und mit kristalliner Transparenz eingefangen. “Da meine Eltern es liebten, wenn zu Hause Musik gespielt wurde, wir das Haus aber nicht behalten konnten, kam ich auf die Idee, die Musik dort aufzunehmen, auch als akustische Erinnerung an den Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Eingespielt wurde sie auf dem Klavier meines Großvaters, das uns der Bruder meines Vaters geschenkt hatte. Die Musik ist ein Tribut an diesen wunderbaren, gutherzigen Mann, den ich meinen Vater nannte.”
Während der Schlagzeuger, am Klavier seines Vaters sitzend, die Musik schrieb, machte er sich nebenbei Notizen in einem Manuskriptbuch, um sicherzustellen, dass die Details der Atmosphäre und der Umgebung, die sich nicht durch Noten ausdrücken lassen, in Worten festgehalten würden. “Die gesamte Musik wurde von mir notiert und der Ton ist ein wichtiger Teil des Gefühls. Da ich den Eindruck hatte, dass das Gefühl für mich verloren gehen würde, wenn wir über eine gewisse Dynamik hinausgingen, sprachen Kit und ich darüber, wie wir eine bestimmte Dynamik erreichen könnten. Weil das Schreiben dieser Musik damals für mich tröstlich war, wollte ich auch, dass die aufgenommene Musik dies widerspiegelt.”
Zu dem hymnischen “This Tune Your Ears Will Never Hear”, mit dem das Album beginnt, notierte Seb in seinem Manuskriptbuch: “Wie ein Kind, das allein in die Leere ruft.” Zum Stück “Night Of Quiet”, das solo auf dem Klavier vorgetragen wird, hielt Rochford fest: “Es war spät. Ich konnte die Leute im Nebenzimmer sprechen hören. Ich habe das Minimum gespielt, nur um die Noten zu wissen, ganz leise.” Und bei “Love You Grampa”, wo geläufige Akkorde und hymnische Tendenzen wiederkehren, um weiter erkundet zu werden, betont der Schlagzeuger und Komponist erneut die Bedeutung von Familienbanden. Diese Gedanken gehen über die Musik hinaus, und die Musik erwidert die Gefälligkeit.
Rochford wandte sich an Manfred Eicher – mit dem er zuvor schon bei der Einspielung von Andy Sheppards Alben “Trio Libero” (2012), “Surrounded By Sea” (2015) und “Romaria” (2018) zusammengearbeitet hatte – und fragte ihn, ob er dafür offen sei, “A Short Diary” zu produzieren. “Ich habe den Eindruck, dass Manfred weiß, wie er das konzentrieren und intensivieren kann, was die Künstler, mit denen er arbeitet, erreichen wollen. Er ermöglicht ihnen so aufzublühen. Durch die Umstände, wie dieses Album zustande kam und durch meine früheren Erfahrungen mit ihm, spürte ich, dass er meine Musik verstehen und sich in sie einfühlen könnte. Denn dies war für mich von größter Bedeutung.”
Es folgte ein akribischer Produktionsprozess in Zusammenarbeit mit Eicher, der das Album dann in München abmischte: “Als ich mir Manfreds Abmischungen anhörte, war es, als würde er mir zeigen, was ich gemacht hatte. Es war, als ob ich die Musik zum ersten Mal wirklich hörte. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, wie er es schaffte, die Musik so klingen zu lassen. Aber ich hatte das Gefühl, dass er alles an ihr intensiviert und in den Fokus gerückt hat.”