Das Procedere ist immer das gleiche: Von Zeit zu Zeit gibt der Plattensammler seine Wunschtitel auf den Websites der einschlägigen Portale ein, bangt, hofft und wird enttäuscht. Selbst für rare CDs wollen die Händler auf einmal dreistellige Euro-Beträge sehen, das Gesetz von Angebot und Nachfrage hat zuweilen unangenehme Folgen. Manchmal aber erhellt sich auch das Gesicht der Suchenden, dann hat eine Plattenfirma die gloriose Idee in die Tat umgesetzt, einige ihrer älteren oder alten Schätze wiederzuveröffentlichen. Etliche ECM-Fans dürfen sich jetzt zu den Glückskindern zählen, denn das Münchner Jazzlabel bringt sieben mehr oder weniger vergriffene, aber längst nicht vergessene Perlen seiner frühen Jahre als Reissues auf den Markt.
Die älteste dieser Aufnahmen datiert aus dem Jahr 1969. Damals präsentierte Abdullah Ibrahim a.k.a. Dollar Brand im Kopenhagener Jazzclub Montmartre solo sein “African Piano”, das Konzert muss in diesen Zeiten mehr noch als ein Genuss eine tiefgreifende Erfahrung für viele Hörer gewesen sein. Ibrahims trommelnder Piano-Sound, manchmal ergänzt um zu dieser Zeit auf Live-Mitschnitten noch übliche Bargeräusche, seine genialischen Improvisationen wurden 1969 sicherlich als pure Exotik empfunden – und sie sind es in gewisser Weise auch bis heute geblieben. Den frühen Dollar Brand als Sensation zu beschreiben ist noch immer keine gewagte These.
Von Keith Jarrett werden gleich zwei Alben neu veröffentlicht, wenngleich der Pianist nur auf einem davon als Musiker beteiligt ist. “Arbour Zena” stammt aus dem Jahr 1975 und wurde mit Jan Garbarek, Charlie Haden und dem Stuttgarter Radio-Symphonie-Orchester eingespielt. Es besteht lediglich aus drei Stücken, deren kürzestes “Solara March” immerhin knapp zehn und deren längstes “Mirrors” epische 28 Minuten einnimmt. Auch wenn dem Album von manchen Kritikern ein Mangel an Tempo nachgesagt wird, so stammt es doch aus jenem für Jarrett wichtigen Jahr seiner “Köln Concerts” und ist allein deshalb geschichtsträchtig. Auf “Ritual” hingegen, 1977 veröffentlicht, stammt allein die Komposition von Jarrett, gespielt wurde sie vom Dirigenten und klassischen Pianisten Russell Davies in Ludwigsburg.
Das 1973 in Hamburg entstandene und 1974 veröffentlichte “Seven Songs For Quartet And Chamber Orchestra” des Vibraphonisten Gary Burton, eingespielt mit dem Gitarristen Mick Goodrick, Steve Swallow am Bass und dem Schlagzeuger Ted Seibs, wird etliche Fans ebenso erfreuen wie die Tatsache, dass es “Five Years Later” der beiden Gitarristen Ralph Towner und John Abercrombie aus dem Jahre 1981 wieder gibt.
Bleiben noch zwei weitere Reissues zu erwähnen. Deren erstes, “Contrasts” des US-Saxophonisten Sam Rivers, entstammt dem Jahr 1979 und zählt zu seinen komplexeren Werken. Die aber sind dennoch nicht nur Insidern oder Connaisseuren zu empfehlen, Rivers erschließt sich nämlich auch den reinen Abenteurern auf Spurensuche im Jazz. Und last but not least wird ECM das 1980 in Oslo aufgenommene Album “Miroslav Vitous Group” des tschechischen Bassisten und seiner Begleiter John Surman (Saxophon), Kenny Kirkland (Piano) und Jon Christensen (Schlagzeug) neu auflegen. Auch wenn sich angesichts der acht höchst unterschiedlich ausgelegten Tracks damals einige Kritiker fragten, wer sich wohl alle acht am Stück anhören wolle, so ist das Album aus heutiger Sicht doch ein Meilenstein.
Bleibt zu hoffen, dass ECM in Zukunft noch viele Schätze aus dem eigenen Keller zurück ans Tageslicht befördert. Wert wären es beinahe alle.