Vokalmusik hat bei ECM Records eine ganz eigene Tradition. Nämlich die, dass sie mit den eigentlichen Traditionen und Konventionen des Jazzgesangs bricht. Ein Musterbeispiel dafür ist “Oylam”, das unglaublich spannende, verwirrend abwechslungsreiche ECM-Debütalbum der New Yorker Sängerin, Pianistin und Komponistin Judith Berkson, das partout in keine wie auch immer etikettierte Schublade passen will.
In ihrem Repertoire hat die 33jährige einerseits Jazzstandards wie Cole Porters “All Of You” und George Gershwins “They Can’t Take That Away From Me”, andererseits aber auch Franz Schuberts “Der Leiermann” (aus dem Liederzyklus “Winterreise”), das jüdische Kantorlied “Ahavas Oylam” und “Huyet, Huyet”, ein Stück des jiddisch-polnischen Poeten und Komponisten Mordechaj Gebirtig. Eingebettet hat sie diese fünf Nummern in neun von ihr selbst geschriebene Kompositionen, die Berkson mal als Solistin am Piano vorstellt, mal als sich selbst auf Klavier, E-Piano oder Orgel begleitende Sängerin. Dabei offenbart sie eine verblüffende stimmliche Bandbreite. Mal klingt ihr Mezzosopran zunächst geheimnisvoll dunkel und entspannt, um sich plötzlich zu mikrotonalen Dissonanzen aufzuschwingen, kunstvolle Vokalisen in die Luft zu malen oder in rasanten Scat-Einlagen davonzujagen.
Berkson, die selbst Kantorin ist und an der Old Westbury Hebrew Congregation in New York liturgische Musik lehrt, wuchs in Brooklyn auf und erhielt ab ihrem fünften Lebensjahr klassischen Klavierunterricht.
Als Teenager fühlte sie sich vor allem zu experimentellen Avantgarde-Komponisten hingezogen, setzte sich aber auch intensiv mit der Musik von Schubert, Brahms und Schönberg auseinander. Am New England Conservatory in Boston studiert sie danach Gesang, Theorie und Komposition (bei Joe Maneri!) sowie Klavier.
Bevor sie sich daran machte, ihr spannendes Soloprojekt zu entwickeln, sammelte sie als Sängerin verschiedener, teilweise eigener Jazz-, Experimental- und Rockbands reichhaltige Erfahrung. Darüber hinaus arbeitete sie auch schon mit Gerard Pape, Ken Thomson, Joe Maneri, Matthew Welch, Ohad Talmor, Steve Coleman, Hans Breder, Carlos Cuellar und Julia Werntz. Allerdings konnte sie in keinem dieser Kontexte je ihre eigenen musikalischen Vorstellungen so richtig verwirklichen. “Ich arbeitete in den Bands, mit denen ich als Sängerin auftrat, mit einigen sehr talentierten Musikern. Und trotzdem gelang es mir nicht so recht, die besonderen Qualitäten, die ich in meinen Songs hören wollte, herauszustellen. So um 2003 dämmerte mir langsam, dass ich meine eigene Begleiterin sein sollte.”
Und wenn man sie nun auf “Oylam” hört, wird einem auch schnell klar, weshalb niemand diese Rolle des Begleiters besser ausfüllen könnte als Judith Berkson selbst.